In einer der feinsten Rollen ihrer beachtlichen Karriere spielt Glenn Close eine Frau im öffentlichen Versteck. Ihre Figur lebt und arbeitet im Dublin des 19. Jahrhunderts als Mann. Das geht Jahrzehnte gut und ist dann nicht mehr zum Aushalten.

Stuttgart - So ist das mit den feinen Leuten: denen gegenüber, die sie für geringwertig halten, benehmen sie sich gern arg unfein. Darum herrscht eine ständige Atmosphäre furchtsamer Anspannung, um nicht zu sagen, drückender Straferwartung in jenem Dubliner Hotel, in das uns Rodrigo Garcias Spielfilm „Albert Nobbs“ führt.

 

Der alte Adel steigt hier Ende des 19. Jahrhunderts ab, die konservativen Angehörigen der Funktionselite logieren auf Stadtbesuch hier, aber schon weniger die Neureichen. Zwei Besonderheiten machen dem Personal – viele wohnen unter dem Dach in Gesindekämmerlein – Dienst und Leben nicht einfacher.

Das Ende einer Epoche naht

Das Haus wird von einer geizigen, herrschsüchtigen Inhaberin geführt, die sich längst selber für etwas Besseres hält und ihre Angestellten für Leibeigene. Und das Hotel läuft, weil das Feinste eben kostet, die Feinen aber geizig sind, nicht besonders profitabel.

Hinter der pompösen Fassade wirkt alles etwas mürbe. Das Ende einer Epoche wird im Heizungskeller, wo ein ratternder alter Boiler die Etagen darüber nicht mehr richtig versorgen will, bereits spürbar.

Wie das Ideal korrekter Pflichterfüllung bewegt sich der schmalschultrige, bleiche, bis zur Einschnürung angespannt wirkende Mr. Nobbs, Kellner, Kofferträger und Etagendiener, ein Mann in Schwarz, so effizient servil, dass er auch von den Schwierigsten der Gäste Trinkgeld bekommt.

Eine doppelte Befreiung

Das hortet er seit Jahr und Tag unter einer losen Diele in seiner Kammer und führt abendlich penibel Buch über die Einnahmen. Bald, längstens in einem halben Jahr, will Mr. Nobbs den Dienst aufkündigen und einen kleinen Tabakladen kaufen.

Das würde dann eine doppelte Befreiung. Denn Nobbs wirkt nicht nur eingeschnürt, er ist es. Aber man muss nun sagen: sie ist es. Denn in Kleidung und Rolle des Mannes steckt eine Frau. Die von Glenn Close mit brillanter Verstocktheit gespielte Nobbs behauptet zwar, das habe rein ökonomische Gründe, sie habe vor Jahrzehnten anders keine Arbeit gefunden.

Aber dieses Pandämonium der dauernden Selbstverleugnung ist mehr als Erwerbstrick. Es ist der verkrümmte Lebensentwurf einer lesbischen Frau, die nicht einmal Worte hat für das, was sie fühlt, die aber weiß, dass dieses andere, das sich aus ihr heraus entfalten möchte, nicht geduldet würde.

Stiche ins Herz

Dafür, dass István Szabó und John Banville am Drehbuch mitgearbeitet haben, bleibt die Geschichte, in der Nobbs sich verliebt und ausgeplündert werden soll, erstaunlich übersichtlich. Aber „Albert Nobbs“ lebt von den exzellenten Darstellern, dem trefflichen Dekor, der leisen und manchmal lauter werdenden Brutalität der geordneten Verhältnisse.

Glenn Close will uns Nobbs nicht eilends nahebringen, sie hält die Figur auch vor der Kamera zurück, sie macht klar, dass diese Unglückselige bei jedem Wort und jedem Schritt darauf achtet, nichts zu verraten, was verborgen bleiben soll. Beim Zuschauen sticht das ins Herz.

Albert Nobbs. Großbritannien, Irland, Frankreich, USA 2011. Regie: Rodrigo Garcia. Mit Glenn Close, Mia Wasikowska, Janet McTeer, Brendan Gleeson. 113 Minuten. Arthaus DVD/Bl u-ray.