Die Meinungen über die neue, 53 Millionen Euro teure Universitätsbibliothek gehen in Freiburg weit auseinander – auch weil die Südseite an heißen Sommertagen verhüllt werden muss, weil die Sonne blendet .

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Die neue Universitätsbibliothek in Freiburg wird am 21. Juli ihrer Bestimmung übergeben. Das Volumen des neuen Baus, dessen Obergeschosse auf zwei beim Abriss der alten UB verschonte Untergeschosse gebaut wurden, ist etwas kleiner geworden, die Zahl der Arbeitsplätze jedoch größer. Den Studierenden und Lehrenden stehen künftig 1700 Arbeitsplätze zur Verfügung, 700 mehr als früher. Die Buchbestände werden steigen, denn auch die juristische Bibliothek wird aus dem gegenüber liegenden Kollegiengebäude II in die UB verlagert. Weil die frühere Tiefgarage entfällt, kann die Freihandausleihe im ersten Tiefgeschoss nun 700 000 Bände aufnehmen, insgesamt finden dort 3,5 Millionen, im oberirdischen Lesesaal 230 000 Bücher und digitale Medienträger Platz. Die UB wird im 24-Stunden-Betrieb 365 Tage im Jahr geöffnet sein und rühmt sich, damit eine der leistungsstärksten Bibliotheken im Land zu sein – und dazu die mit der wohl spektakulärsten architektonischen Gestaltung.

 

Die blendende Fassade spaltet Fachwelt und Publikum

Denn die „kristalline Form“, sagt ihr Schöpfer, der Architekt Heinrich Degelo aus Basel, ist kein Kubus, sondern im wortwörtlichen Sinne schräg und blendend. Die Fassade aus Glas und Stahl inmitten der von Gotik und Klassizismus geprägten Münsterstadt hat Publikum und Fachwelt tief gespalten. „Die falsche Architektur am falschen Platz“, befand die Münsterbaumeisterin Yvonne Faller. Ein Dampfer, der völlig überdimensioniert mitten in Freiburg stehe, krittelte die in Island geborene und seit Jahrzehnten als Architektin in Stuttgart tätige Jórunn Ragnarsdóttir, nachdem sie zur Vorsitzenden des Gestaltungsbeirats in Freiburg berufen wurde.

Andere Architekten schwärmen dagegen von einem „Leuchtturm“, der Freiburg zur Pilgerstätte für internationale Designerszene mache. Der Unirektor Jochen Schiewer glaubt sogar, dass der Bau dem altehrwürdigen Münster Konkurrenz als neues Wahrzeichen mache. Architekt Degelo hat jahrelang geschwiegen, kurz vor der Eröffnung jetzt aber in der Lokalzeitung gegen „diese Person“ im Gestaltungsbeirat gegiftet, deren Äußerung als „dumm“ und ihre Berufung als unverständlich gescholten. Die Gereiztheit erklärt sich wohl auch durch einen zuvor wohl nicht bedachten blendenden Effekt: An der Südseite reflektiert die verspiegelte Glasfassade tief stehendes Sonnenlicht zuweilen so stark, dass Autofahrer nichts mehr sehen. 250 Quadratmeter müssen mit schnödem Tuch verhüllt werden, was zu Hohn und Spott in der Stadt geführt hat.

Den Naturschützern fehlt eine Debatte über nachhaltiges Bauen

„Eine typisch Freiburger Debatte“, sagt Axel Mayer mit einem Kopfschütteln über den Fassadenstreit. „Wichtiger sind doch die ‚inneren Werte’“, findet der Vorsitzende des Natur- und Umweltschutzverbandes Bund in Südbaden. Er lobt ausdrücklich die Betonkerntemperierung mit Brunnenwasserkühlung sowie die Wärmerückgewinnung als energieeffiziente Fortschritte. Zur Fassade bemerkt Mayer lediglich, dass er es mutig findet, „angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich einen bruchempfindlichen Glaspalast in die Stadt zu bauen.“ Dem Bund fehlt eine Debatte über nachhaltiges Bauen. „Es spricht niemand mehr darüber, dass wir es uns leisten konnten, eine Bibliothek zu erstellen, die nach nur 33 Jahren wieder abgerissen werden musste“, erinnert Mayer an die 1978 fertiggestellte Bausünde. Allein die Asbestsanierung des alten „Bücherbunkers“ kostete Millionen Euro, der Plan, zumindest die Stützen und Decken zu erhalten, wurde mitten in der Abrissphase fallengelassen. Entsprechend schossen die Kosten in die Höhe: Die ersten Schätzungen gingen von 38 Millionen Euro, die Planungen von 44 Millionen aus, jetzt werden 53 Millionen genannt. Und ob man genug gelernt hat aus den Sünden der Vergangenheit, werde man sehen, äußert sich Mayer skeptisch. Die geplante Pflasterung des Vorplatzes mit Basalt aus Vietnam von zweifelhafter Herkunft spreche jedenfalls nicht dafür.

Details zum Neubau

Weil die alte, 1903 fertiggestellt Universitätsbibliothek (UB) an der Rempartstraße zu klein wurde, baute die Universität Freiburg am Werthmannplatz gegenüber dem Kollegiengebäude I und neben dem Stadttheater zwischen 1972 und 1978 eine neue UB im Betonstil der 70er Jahre, die bereits 2003 als sanierungsreif galt.

Den Architektenwettbewerb für einen UB-Neubau gewann 2006 der Basler Architekt Heinrich Degelo mit seiner Glas- und Stahlfassade von 7300 Quadratmetern Fläche auf sieben überirdischen Stockwerken. Vom Sommer 2009 bis Winter 2011 wurden die alten Obergeschosse komplett abgerissen, die Präsenzbücherei und die Lesesäle wurden provisorisch in der leer stehenden Stadthalle untergebracht, in den Tiefgeschossen wurde in Magazinen und der Ausleihe weiter gearbeitet. In der neuen UB sind 160 Beschäftigte tätig, in Lesesaal und „Parlatorium“ gibt es 1700 Arbeitsplätze. Neu dazu gekommen sind ein Medienzentrum und eine Cafeteria im Erdgeschoss.