Disneyland Paris hat für 200 Millionen Euro „Ratatouille“ erschaffen, die Welt des kochenden Nagetiers Rémy. Für eine Fahrt durch die 3-D-Küche muss man zwei Stunden anstehen, aber viele Besucher sagen: Disney-Paris ist schöner als die echte Hauptstadt.

Paris -  Willkommen in Paris! Nein, nicht in Frankreichs brodelnder Hauptstadt, wo ein paar Gehminuten von künstlichen Seine-Sandstränden auf dem Gelände der „Halles“ gerade ein gigantisches Hip-Hop-Center in den Himmel wächst. Willkommen in einer Stadt gleichen Namens, die im kollektiven Bewusstsein der Menschheit allen Modernisierungsversuchen trotzt. Vom Kopfsteinpflaster über die Straßenlaternen bis hinauf zu den Dachgauben der Bürgerhäuser ist dort alles, wie es immer schon war: herrlich schmuddelig, wunderbar romantisch, ewiggestrig. Woody Allen hat dieser charming City mit „Midnight in Paris“ ein Denkmal gesetzt. In Walt Disneys „Ratatouille“, dem Zeichentrickmärchen von der vorzüglich kochenden Ratte Rémy, kam sie zuvor ebenfalls zu Ehren.

 

Ein romatisches Double des alten Paris

Nun gibt es dieses Paris auch noch zum Anfassen, dreidimensional, ganze vierzig S-Bahn-Minuten vom Zentrum der französischen Hauptstadt entfernt. Die kalifornische Traumfabrik hat nachgelegt. Für rund 200 Millionen Euro hat Disneyland im Pariser Walt-Disney-Studios-Park „Ratatouille“ erschaffen, sprich: Rémys Küche, umgeben von Bauten des ewiggleichen Paris. Da plätschert ein Double des Brunnens der Place des Vosges, ragt die Dachlandschaft an der Place Dauphine in fast vollendeter Nachbildung empor.

Aus Champagnerflaschen schießen Fontänen

Wer nach zwei Stunden Schlange stehen vor der Rattenküchentür eines der „Ratmobiles“ besteigt, der sechs Personen fassenden, durch Rémys Welt kurvenden Wägelchen, weiß Fiktion und Wirklichkeit bald nicht mehr auseinanderzuhalten. Ist man selbst auf Rattengröße geschrumpft? Ist die Küche explosionsartig gewachsen? Weil sie eine 3-D-Brille auf der Nase haben, nehmen die Besucher die Welt s aus der Perspektive des Nagetiers wahr. Ringelschwanz und Fell des vorauseilenden Rémy vor Augen, geht die Fahrt durchs Halbdunkel gut bestückter Speisekammern. Von der Decke baumeln Monsterfische. Medizinballgroße Orangen verströmen Zitrusduft. Vom Kühlschrank branden Kälteschauer, vom Backofen Hitzewellen heran. Aus Champagnerflaschen schießen Fontänen, deren Wucht es mit den Ladungen polizeilicher Wasserwerfer aufnehmen kann. 

Die Helden der Trickfilmgeschichte gesellen sich hinzu. Da ist der Geist des Pariser Spitzenkochs Auguste Gusteau, der  Remy auf dem gleichermaßen mühe- wie gefahrvollen Weg zum gefeierten Küchenchef mir väterlichem Rat zur Seite steht. Der tumbe Küchenjunge Linguini taucht auf, der, von Rémy diskret angeleitet, Gerichte kredenzt, die selbst dem Restaurantkritiker Ego das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Und natürlich sind auch die wohlbekannten Widerlinge mit von der Partie, der Rémy mit Besenstielen nachstellende, ihm Gifttod und Rattenfallen-Verderben an den Hals wünschende Küchenchef Skinner zumal.

Im Restaurant gibt’s Mousse au Chocolat und – Ratatouille

Kaum begonnen, ist die rasende Fahrt durch Rémys Welt freilich auch schon wieder vorbei. „Viel zu früh“, wie nicht nur Carla findet, die neunjährige Tochter Marias und Antonios. Das glückselige Lächeln auf den Gesichtern der aus dem spanischen Galizien angereisten Familie ist schnell erloschen. Angestrengt, wenn auch letztlich vergeblich denken die drei darüber nach, wie sie den Kochlöffel schwingenden Rémy ein zweites Mal begleiten könnten, ohne dafür zwei Stunden anstehen zu müssen. Das Angebot, nebenan im „Bistrot Chez Rémy“ echten französischen Brie, Mousse au Chocolat oder Ratatouille Maison serviert zu bekommen, tröstet Carla nicht wirklich. Im täglich 1200 Gäste bewirtenden Restaurant ist weit und breit kein Nagetier zu entdecken. 

Vielleicht taugt das Disney-Paris als Exportschlager

Die Disney-Company dagegen kann zufrieden sein. Das kostspielige Lifting, das die Geschäftsführung dem im vergangenen Jahr durch sinkende Besucherzahlen aufgefallenen Park verordnet hat, dürfte sich bezahlt machen. Das vor gut einer Woche von Frankreichs Staatssekretärin für Tourismus, Fleur Pellerin, eingeweihte Ratatouille soll dem Park ein Plus von jährlich einer Million Besuchern bescheren.

Womöglich taugt Ratatouille sogar zum Exportschlager und erweist sich rund um den Globus als ein absatzfördernder „french touch“. Während sich nämlich die Pariser kopfschüttelnd fragen, wieso man in S-Bahn-Entfernung vor den Toren ihrer Stadt für Hunderte von Millionen eine absonderliche Kopie derselben errichtet hat, strömt der Rest der Welt offensichtlich freudig dorthin. Ganz offensichtlich ist nicht nur die neunjährige Spanierin Carla der Überzeugung, „dass Disney-Paris viel schöner ist als das andere Paris mit den vielen Parisern drin.“