Linien gibts nicht nur im Fußball: in der Galerie der Sammlung Klein gibt es von Sonntag an Werke rund um die Linie. Dabei geht es für die Betrachter durchaus an die Grenzen der Wahrnehmung.

Eberdingen-Nußdorf - Wenn dieser Tage wieder halb Europa ganz besonders genau darauf achtet, ob der Ball über der Linie war oder nicht, tut es gut, einmal kurz innezuhalten und sich Gedanken über das Wesen der Linie zu machen. Egal ob Sport, Politik oder Straßenverkehr– überall ist der Linie das Trennende gemein. Tor oder nicht Tor, wir oder die, Überholen oder nicht. Wer eine Linie zieht, setzt eine Grenze, teilt die Welt in zwei Hälften.

 

Dass Linien durchaus auch etwas Verbindendes haben können, zeigt sich in der Kunst. Die Sammlung Klein in Eberdingen-Nußdorf befasst sich in der neuen Ausstellung „Über die Linie hinaus“ mit Gemälden, Papierschnitten, Bildobjekten sowie Wand- und Rauminstallationen, die in der Linie, einem der elementarsten Elemente des Zeichnens, ihren Kern haben.

Die Aussteller wollen über die Grenzen des Bildnerischen hinaus

Die Anspielung auf das Grenzüberschreitende ist durchaus passend, denn interessanterweise sind es eben fast keine Zeichnungen, die ausgestellt werden. Man wollte die Randbereiche der Linien erkunden, erklärt die Kuratorin Valeria Waibel. „Unser Ziel war es, über die Grenzen des Bildnerischen hinauszugehen.“

Und das ist durchaus gelungen. Am besten beginnt man als Besucher auf der zweiten Ebene des Ausstellungsgebäudes. Ein für die Sammlung neu erworbenes Werk des Münchner Künstlers Markus Oehlen gab überhaupt den Ausschlag für diese Ausstellung, die mit knapp 60 Werken zwar ähnlich umfangreich wie die vorherigen ausfällt, mit insgesamt nur sieben Künstlern jedoch deutlich mehr in die Tiefe geht als bisher.

Die Sammlung wird monografischer

Das liegt zum einen daran, dass die Sammler, Alison und Peter Klein, zunehmend monografisch sammeln, sprich eher mehr Werke desselben Künstlers kaufen statt unterschiedlicher Künstler. Zum anderen soll die Ausstellung die Lust am Betrachten wecken, der Besucher soll vergleichen, die Werke von nah und von fern begutachten. So findet man in den großformatigen, farbenfrohen, gestisch dichten Bildern von Markus Oehlen immer wieder etwas Neues, und was von Nahem betrachtet aussieht wie flache Linien, ergibt aus der Ferne plastische Figuren.

Eine besondere optische Herausforderung wartet auf den Besucher gleich um die Ecke. Dort hat die Künstlerin Christl Mudrak einen kompletten Raum inklusive Möbel in einem schwarz-weißen Spiralmuster bemalt. Wer ihn betritt, verliert den Raum vor Lauter flirrenden Linien. Das Ergebnis ist völlige Distanzlosigkeit – man weiß nicht, wo der Boden aufhört und die Wand beginnt. Hier dienen die Linien der räumlichen Entgrenzung. Mudrak interessiert dabei besonders, was derartige Räume mit den Menschen darin anstellen. Die gebürtige Memmingerin hat über psychische Räume in der Malerei promoviert und in Zürich ein Haus von innen schwarz bemalt.

Feine Papierschnitte als Kontrapunkt zum bunten Bombast

Einen Kontrapunkt zu den bunten Bombast-Werken von Markus Oehlen setzen die Papierschnitte von Katharina Hinsberg auf der dritten Ebene: feine Linien, mal mit Graphit-, mal mit rotem Wachsstift gemalt und anschließend mit Skalpell ausgeschnitten, erzeugen Räumlichkeit bei dem Linearsten, was es in der Kunst geben kann: Strichen auf Papier. Auch hier kann der Besucher eine Entwicklung im Werk betrachten: Sind die Striche bei den früheren Werken noch gestisch weitläufig und expressiv, verknappen sie später in kurze Fetzen.

An Zeichnungen von Ingenieuren erinnert fühlt man sich bei den Werken von Jorinda Voigt, einer neuen Künstlerin in der Sammlung Klein. Die Berlinerin verbindet collagierte Flächen, beispielsweise mit Gold oder Gänsefedern, mit Bewegungs- und Rotationspfeilen – und verknüpft so das Zeichnerische mit dem Materiellen.

Im Erdgeschoss gilt es dann noch einmal die Grenzen der Wahrnehmung auszuloten: Bei den Bildobjekten des in Mühlacker geborenen Manuel Knapp sind verschiedenfarbige Fäden in dreidimensionale Rahmen eingespannt, die je nach Position des Betrachters eine andere Form ergeben. Der ein oder andere Fußball-Fan mag sogar einen Ball im Netz erkennen.

Auszeichnung

Staufermedaille
Das Ehepaar Alison und Peter W. Klein ist mit der Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. „Die Staufermedaille ist eine besondere, persönliche Auszeichnung des Ministerpräsidenten für Verdienste um das Land Baden-Württemberg und seine Bevölkerung“, heißt es in den Vergabekriterien. Die Verleihung findet am Freitag im Rahmen der nicht-öffentlichen Ausstellungseröffnung im „Kunstwerk“ statt. „Ich bin stolz darauf, aber ich hätte nie damit gerechnet“, sagt Peter Klein. „Man hat als Unternehmer eine soziale Verantwortung, der möchte ich gerecht werden.“

Sammlung
Die Sammlung Klein umfasst etwa 1600Werke zeitgenössischer europäischer Kunst. Hinzu kommen etwa 400 Werke von Aborigine-Kunst, was die Sammlung zu einer der bedeutendsten in Europa macht. Peter W. Klein, 1947 in Stuttgart geboren, war bis 2007 Vorstandsvorsitzender und Inhaber der Rectus AG in Nussdorf. Nach dem Verkauf des Unternehmens widmete er sich mit seiner Frau verstärkt sozialen und kulturellen Projekten.

Ausstellung
Die Ausstellung „Über die Linie hinaus“ beginnt offiziell am Sonntag, 19. Juni, und wird bis 23. Dezember 2016 in der Galerie „Kunstwerk“ in Nussdorf zu sehen sein. Die Öffnungszeiten sind jeweils mittwochs, donnerstags, freitags und sonntags von 11 bis 17 Uhr. Nach Absprache können Sonder-Termine vereinbart werden. Der Eintritt ist frei. Öffentliche Führungen finden in der Regel am ersten und dritten Sonntag sowie am ersten Mittwoch des Monats statt. Die Teilnahme kostet pro Person drei Euro.