Auf der ehemaligen Deponie Leonberg ist der offizielle Startschuss für die größte Bioabfallverwertungsanlage im Land gefallen.

Es sind Bilder und Geräusche, die sich im wahrsten Sinne des Wortes in das Gedächtnis der Zeugen eingebrannt haben – zig Meter hohe Stichflammen, begleitet von heftigen Detonationen. Am 11. September 2019 ist die Vergärungsanlage des Landkreises Böblingen auf der ehemaligen Deponie Leonberg komplett abgebrannt. Die Ursache ist bis heute nicht geklärt. Nun haben der Böblinger Landrat Roland Bernhard und sein Esslinger Kollege Heinz Eininger offiziell den Baustart für eine neue Anlage eingeleitet. Gleichzeitig haben sie feierlich das neu erbaute Betriebsgebäude für die künftigen 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Anlage betreuen werden, seiner Bestimmung übergeben.

 

„Die aktuelle Energiekrise macht deutlich, wie sehr wir von ausländischem Gas abhängig sind“, sagt Landrat Roland Bernhard. „Wir müssen uns um die eigene Energiesicherheit selber kümmern und dazu haben wir auf kommunaler Ebene viele Gestaltungsmöglichkeiten.“ Eine solche werde auch die neue Vergärungsanlage sein. „Dieses interkommunale Projekt sichert uns die Möglichkeit, die Bioabfälle aus dem Landkreis Esslingen hier effizient zu verwerten“, sagt der Esslinger Landrat Heinz Eininger beim Baustart. „Es war richtig, dass wir trotz der Havarie an unseren gemeinsamen Plänen zum Ausbau festgehalten haben und nun die Chance haben, eine neue, größere Anlage aus einem Guss zu errichten.“

Böblingen und Esslingen kooperieren seit 1994

Im Frühjahr 2019 hatte man einen Kapazitätsausbau der Vergärungsanlage beschlossen und die gemeinsame Gesellschaft Bioabfallverwertung Leonberg (BVL) gegründet. Dann kam der Brand. Die Landkreise Böblingen und Esslingen kooperieren seit 1994 bei der Verwertung von Bioabfällen, erst durch ein Kompostwerk und dann, seit 2005, am Standort Leonberg, um Energie durch Vergärung zu gewinnen und danach aus den Gärresten am Standort Kirchheim unter Teck Kompost herzustellen. Die neue Vergärungsanlage hoch über der A 8 auf Gemarkung Leonberg wird für eine Gesamtkapazität von 72 000 Tonnen aus beiden Kreisen, davon 60 000 Tonnen Bioabfälle und 12 000 Tonnen Grünabfälle, gebaut. Sie wird damit die größte kommunale Anlage ihrer Art in Baden-Württemberg. Jährlich werden auf diese Weise 12 300 Tonnen Treibhausgase eingespart. Die Gesamtkosten für die neue Anlage belaufen sich voraussichtlich auf rund 44 Millionen Euro.

Mehr als 40 Millionen Euro

Fertiggestellt soll sie im Herbst 2024 werden. Für die beiden Landräte ein Wunschtermin, denn es wäre ein krönender Abschluss für die zweite Amtsperiode von Roland Bernhard und für die dritte von Heinz Eininger. Für die Finanzierung werden die rund 21 Millionen Euro hinzugezogen, die die Versicherung für die abgebrannte Anlage gezahlt hat und 4,8 Millionen Euro Fördermittel des Bundes, die ursprünglich für die Erweiterung gewährt wurden. 18 Millionen Euro müssen die beiden Projektpartner allerdings selbst lockermachen.

Die Vergärungstechnologie, das Herzstück der neuen Anlage, liefert für fast 14,5 Millionen Euro die österreichische Bietergemeinschaft Thöni/Börgel aus Telfs in Tirol. „Die Anlage verarbeitet Bioabfälle auf höchstem ökologischen Niveau“, sagt Thöni-Geschäftsführer Anton Mederle. „Wir haben schon beim Bau der ersten Vergärungsanlage mitgeboten, waren damals aber anscheinend zu teuer“, erinnert sich Mederle. Der Auftrag ging dann an eine belgische Firma, die auf den Bau von Brauerei-Ausrüstungen spezialisiert war. „Was mit dem alten 25 Meter hohen Fermentierturm, der beim Brand verschont blieb, geschehen wird, steht noch nicht fest“, sagt der für den Wiederaufbau der Anlage verantwortliche Wolfgang Bagin. Inzwischen im Ruhestand, hat er sich dazu bereit erklärt, die BVL-Geschäftsführung zu übernehmen.

Leitung von der Vergärungsanlage zur einstigen Deponie

Ein wichtiger Part in dem neuen Konstrukt kommt dabei den Stadtwerken Sindelfingen zu. Unter ihrer Federführung wird 2023 für rund 6,8 Millionen Euro auf der ehemaligen Kreismülldeponie Sindelfingen eine Anlage zur Herstellung von Methangas und für die Aufbereitung des Rohgases gebaut. Dazu wird von der Vergärungsanlage in Leonberg eine Leitung zu der ehemaligen Deponie gelegt. Die Stadtwerke werden dort rund 80 Prozent des entstehenden Biogases hochwertig aufbereiten. „Aus den prognostizierten 6,8 Millionen Kubikmeter Biogas wird Methan für 35 740 Megawattstunden Energie hergestellt, was dann ins Fernwärmenetz eingespeist wird“, erklärt Karl Peter Hoffmann, der Geschäftsführer der Stadtwerke Sindelfingen.

Zusätzlich entstehen dabei jährlich 5000 Tonnen lebensmitteltaugliches, flüssiges Kohlendioxid pro Jahr. „Weil das bisher aus fossilen Energieträgern gewonnen wurde, ist das jetzt sehr teuer, sodass beispielsweise sogar einige kleine Brauereien schließen“, weiß Hoffmann. „Der Anlagenteil für die Methanisierung wird nicht bei der Vergärungsanlage, sondern bei der ehemaligen Kreismülldeponie Sindelfingen errichtet, weil in Leonberg kein Platz dafür ist und das Methangas direkt in das Fernwärmenetz der Stadtwerke eingespeist werden kann“, sagt Wolfgang Bagin. In den Fermentern der Vergärungsanlage entstehen beim Gärungsprozess jährlich mehr als acht Millionen Kubikmeter Biogas. Etwa 20 Prozent werden für den Strom- und Wärmebedarf am Leonberger Anlagenstandort über ein Blockheizkraftwerk direkt verwendet. Hier wird das Biogas gereinigt, bevor es dann weiter zur Kreismülldeponie Sindelfingen in die Methanisierungsanlage beim Häckselplatz fließt.