Die Ingenieure Jörg und Mike Schlaich haben in Bad Cannstatt und in Ditzingen neue Überführungen gebaut. Beide Konstruktionen bestechen, wie immer beim Ingenieurbau made by Schlaich, durch Neuartigkeit, Eleganz und Leichtigkeit.

Stuttgart - Der Bauingenieur Mike Schlaich ist ein Freund schneller Autos. Die neue Fußgängerbrücke, die er im Auftrag von Berthold Leibinger für den Maschinenbauer Trumpf in Ditzingen geplant hat, vergleicht er darum ironisch mit seinem Lamborghini Espada. Abwegig erscheint diese Verwandtschaft keineswegs. Beide, Brücke wie Sportwagen, sind silbrige, ausnehmend schnittige Gebilde. Aber dann hört die Ähnlichkeit auch schon auf, denn während es sich bei dem Italoflitzer um einen Oldtimer Jahrgang 1977 handelt, ist die Brücke technisch und konstruktiv so neuartig, wie sich der vor Kurzem verstorbene Firmenpatriarch Leibinger diese Überführung auf dem Werksgelände des Unternehmens gewünscht hatte. Selbst das ungeschulte Auge erkennt: So ein filigranes, minimalistisches und dabei zauberisches Brückchen hat die Welt noch nicht gesehen.

 

Mit diesen Eigenschaften steht der Ditzinger Steg zugleich ganz in der Tradition des Ingenieurbaus made in Stuttgart und speziell des Ingenieurbaus made by Schlaich. Ausgezeichnet hat sich dieser von Anfang an durch seine filigranen, materialsparenden, wegweisenden und dabei ästhetisch ansprechenden Konstruktionen. Davon zeugt als jüngste von zahlreichen Schlaich-Brücken in Stuttgart und als schwergewichtiges Kontrastprogramm zur Minibrücke bei Trumpf auch die Eisenbahnbrücke über den Neckar in Bad Cannstatt, die gerade ihrer Vollendung entgegengeht. Konzipiert wurde sie noch von Mike Schlaichs Vater Jörg Schlaich, Doyen der Stuttgarter Ingenieurbauschule, der mit seinem Entwurf einer innovativen Stahlsegelbrücke den Wettbewerb von 1998 gewann. Dass die Realisierung nun mit reichlich Verspätung erfolgt, liegt vielleicht in der Natur der Deutschen Bahn. Grund ist aber auch – das räumen die Ingenieure bei Schlaich, Bergermann und Partner ein –, dass dieses Projekt so jenseits aller Normen bei der DB lag, dass es erst einmal zeitaufwendige Prüfverfahren durchlaufen musste.

Tragwerk und Form ergeben sich aus der Funktion

Als Typus entwickelt die Neckarbrücke die klassische Schrägseilbrücke weiter, die für schwere Lasten wie Waggons und Lokomotiven zu weich wäre. Jörg Schlaich führte daher eine Idee seines Schweizer Kollegen Christian Menn fort, der 1980 eine Brücke über das Gantertal im Kanton Wallis ersonnen hatte: ein spektakuläres, extrem weit gespanntes Meisterwerk der Ingenieurbaukunst, bei dem die herkömmlichen Schrägkabel in Zugscheiben einbetoniert wurden. Zu den Vorteilen dieser Bauweise gehören die – im Gegensatz zur Schrägseilbrücke – relativ niedrigen Pylonen und die zugleich als Schallschutz wirkenden Stahlsegel.

Massive Lärmschutzwände, meist keine Zierde des Landschafts- oder Stadtbilds, braucht es hier deshalb nicht. Tragwerk und Form sind eins, sie ergeben sich aus den konstruktiven und funktionalen Anforderungen – was für alle Brücken von Jörg Schlaich gilt. „Tragswerksakrobatik“ als Selbstzweck missbilligt der Stuttgarter aus Prinzip, seine Entwürfe basieren durchweg auf dem, was er mit einem Anflug von Pathos konstruktive „Wahrhaftigkeit“ nennt. Im Unterschied zu der kantigen, skulpturalen Brücke in den Schweizer Alpen überzeugt seine Cannstatter Bahnüberführung aber durch die charakteristische Schlaich’sche Leichtigkeit und Eleganz, ja Beschwingtheit. Die Abspannungen, aus der Nähe betrachtet mächtige Metallplatten, machen aufs Ganze gesehen ihrem Namen alle Ehre: Wie ein dynamischer Flottenverband von Seglern, fern aller Erdenschwere, überquert diese Bahnbrücke den Neckar unterhalb des Rosenstein-Schlösschens. Und auf einem abgehängten Steg ist auch noch Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer.

Das Trumpf-Brückchen erzeugt 1001-Nacht-Stimmung

Gegen dieses große Cannstatter Kaliber ist der experimentelle Ditzinger Fußgängersteg bloß ein Brückenzwerg. Mehr noch als bei der großen Schwester in Stuttgart verschmelzen Konstruktion und Form: hier zu einer doppelt gekrümmten Schale aus nur 20 Millimeter dickem Stahl, die über die Gerlinger Straße hinweg zwei Firmenareale verbindet. Bezogen auf ihre Spannweite von 28 Metern ist sie sechsmal dünner als eine Eierschale. Und da man direkt auf der Tragkonstruktion geht, wird dieser Hauch von Brücke auch nicht durch einen gesonderten Belag für die Passanten in seiner Wirkung beeinträchtigt. Gesteigert wird diese vielmehr durch die 14 000 per Lasertechnik in den Stahl geschnittenen Löcher (man befindet sich schließlich beim Weltmarktführer Trumpf), und auch das ist keine Akrobatik als L’art pour l’art, sondern der zur Anschauung gebrachte Kraftfluss im Tragwerk: eine Brücke als gespanntes Stahlnetz, dem die Schalenform Standfestigkeit verleiht.

Reine Poesie sind dagegen Abertausende von Glasstöpseln in der Perforation, die das Licht reflektieren und bei Dunkelheit unter LED-Bestrahlung 1001-Nacht-Stimmung in die Landschaft zaubern. Missliebig fällt daneben nur die benachbarte Autobahnbrücke auf, die den klotzigen Standard im Brückenbau verkörpert und die Sicht auf das zierliche Trumpf-Brückchen empfindlich stört. „Bisschen schade“, sagt Mike Schlaich, „aber der Canal Grande stand uns gerade nicht zur Verfügung.“