Paula Lutum-Lenger hat den im Dezember eröffneten Lern- und Gedenkort Hotel Silber mitkonzipiert. Seit 1. Januar führt sie das Haus der Geschichte, dem das Hotel Silber angeschlossen ist.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Thomas Schnabel, langjähriger Direktor des Hauses der Geschichte, verneigte sich verbal vor ihr: „Frau Lutum-Lenger hat das wieder mal großartig gemacht“, sagte der angehende Pensionär bei der jährlichen Stauffenberg-Vorlesung im November unter dem Beifall des illustren Publikums. Der war in jeder Hinsicht verdient. Denn, in der Tat, wie hatte sie das wieder geschafft: die Organisation der Vorlesung mit Ehrengast Helmuth Caspar Graf von Moltke, während sie gleichzeitig die umfangreichen Planungen für die Eröffnung des Lern- und Gedenkortes Hotel Silber vorantrieb, die neue Ausstellung „Kopfgeschichten“ im Haus der Geschichte fertigstellt und sich auch auf ihren künftigen Job vorbereitete – die Nachfolge von Thomas Schnabel, die sie am 1. Januar offiziell angetreten hat?

 

Es scheint ihr keine Mühe zu machen, mehrere Bälle in der Luft zu halten, mit verschiedenen Aufgaben unfallfrei zu jonglieren. Sucht man nach einem Begriff für diese personifizierte Quirligkeit landet man beim Tausendsassa – und stellt fest, dass es dafür keine weibliche Entsprechung gibt. Man muss erst eine erfinden. In Anlehnung an „Hansdampf in allen Gassen“ liegt man bei Paula Lutum-Lenger mit „Pauladampf in allen Gassen“ vermutlich nicht falsch.

Die Umtriebigkeit resultiert aus der Begeisterung, die sie für ihren Beruf empfindet. Die 61-Jährige mit den neugierigen Augen liebt und lebt Geschichte, die für sie immer auch in Geschichten besteht. Es ist das, was sie brennend interessiert. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Münsterland war für sie früh klar, wohin die Reise gehen sollte – in die Geschichte. Ihre wachen Eltern, beides Landwirte, erkannten und förderten das Interesse des aufgeweckten Mädchens. Von der Bauernschaftsschule, in der vier Jahrgangsstufen in einem Raum unterrichtet wurden, wechselte sie – was selten war – auf „die höhere Schule“. Nach dem Abitur studierte sie Volkskunde, Soziologie, Vor- und Frühgeschichte sowie Publizistik an der Universität Münster und promovierte über Handwerksgeschichte. Ihre erste Museums-Station war das Westfälische Industriemuseum.

Von dort führte sie der Weg nach Stuttgart, wo sie das vom früheren Ministerpräsidenten Erwin Teufel initiierte Haus der Geschichte als Ausstellungs- und Sammlungsleiterin mit aufgebaut hat. Die Münsterländerin mit Wohnsitz in Tübingen, fühlt sich hier seit bald 30 Jahren sehr wohl. Sie kennt die Stadt, sie kennt das Land – und besonders gut deren Geschichte. Trotzdem kommt es vor, dass Leute sie ansprechen: „Gell, Sie send net von hier?!“ Darüber muss sie lachen – und nachdenken. „Man bleibt immer die von außen.“

Gegenstände haben für sie einen lebendigen Kern

Vor allem aber ist sie immer diejenige, die etwas bewegen und erzählen will. Gegenstände haben für sie keinen illustrativen Charakter, sondern einen lebendigen Kern. Sie erzählen etwas von den Menschen, denen sie gehörten, von deren Leben, manchmal auch von deren Sterben. Sie verweist auf das Beispiel einer Brezel, die sich im Reisegepäck des badischen Abgeordneten Michael Scheffel befand, der im 19. Jahrhundert aus Furcht vor Verhaftung nach Amerika auswanderte: „Die ganze badische Heimat in einer Brezel. Das finde ich faszinierend.“

Ebenso wie das Selbstporträt des von den Nazis verfolgten Malers Rudolf Schlichter, das in der Dauerausstellung des neuen Lern- und Gedenkorts in der Dorotheenstraße hängt. „Ein Bild von große Aussagekraft“, sagt die Museumschefin. Auf der Leinwand sind Gitter zu sehen, mutmaßlich die der früheren Gestapo-Zentrale. Paula Lutum-Lenger versteht es, daraus Geschichte zu machen, Zusammenhänge herzustellen.

Das Gebäude an der Dorotheenstraße, das die Rolle der Polizei in drei n politischen Systemen dokumentiert, steckt voller solcher persönlicher Geschichten. Sein Erhalt ist der Hartnäckigkeit der Bürgerinitiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber zu verdanken, die – bundesweit einmalig – dauerhaft an der inhaltlichen Konzeption dieser Nebenstelle des Hauses der Geschichte beteiligt ist. „Wir haben hier auch eine Postkarte aus Auschwitz“, sagt Lutum-Lenger flüsternd. „Eine Familie hat sie uns zur Verfügung gestellt. Was für eine Geschichte!“

„Museen müssen bei den Menschen sein“

In ihrer neuen Rolle als Museumsdirektorin will Lutum-Lenger Geschichte so erzählen, dass möglichst viele Menschen sich angesprochen fühlen. Besonders auch Migranten. Mit Blick auf künftige Ausstellungen denkt sie an übergreifende Begriffe: Gier, Hass, Liebe. Daraus könnte eine Ausstellungs-Trilogie entstehen.

Das Museum in die Gesellschaft hinein öffnen heißt für Lutum-Lenger auch, es einladender machen. Das Haus der Geschichte soll ein Ort werden, den man einfach mal so betritt: „Museen müssen bei den Menschen sein“, lautet ihr Credo. Sie träumt von freiem Eintritt ins Haus der Geschichte – analog zum Hotel Silber –, von einem neu gestalteten Foyer und von vielem anderen mehr. Träumen ist zu wenig gesagt. Wer sie erlebt, weiß: sie arbeitet emsig daran.