Mathematik und Theologie – passt das zusammen? Im Leben von Margit Gratz schon. Sie ist die neue Leiterin des Hospizes St. Martin und wird die Idee vom trauerpastoralen Zentrum mit Leben füllen. Getreu ihrer Überzeugung: Trauer und Sterben gehen alle an.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Für eine Frau, die Ritualen eine hohe Bedeutung beimisst, hat alles schon mal sehr gut angefangen. Margit Gratz, die neue Leiterin des katholischen Hospizes St. Martin, und ihre Vorgängerin Angelika Daiker haben zusammen mit den Mitarbeiterinnen einen Baum gepflanzt. Nun muss der Rotblättrige Ahorn nur noch anwachsen, die neue Frau im Haus in Degerloch hat ihre Aufgabe bereits Anfang Oktober in Angriff nehmen.

 

Ihre Augen blitzen, wenn sie erzählt, wie sehr sie sich auf diesen neuen Lebensabschnitt freue, der sie von Münster, wo ihr Dienstsitz war, und München, von wo sie auch arbeitete, nach Stuttgart führt. Die vergangenen vier Jahre hat Margit Gratz (45) für 23 Einrichtungen der Augustinum gGmbH Palliativkompetenz und Hospizkultur entwickelt und auch betreut. Gratz’ Start im Hospiz fällt in eine Zeit, in der sich in Stuttgart viel tut. Auch das Kinderhospiz der evangelischen Kirche hat jüngst seinen Dienst aufgenommen.

Neugierde als Antrieb

An Erfahrung und Wissen mangelt es der Münchnerin nicht. Sucht man in ihrem Leben nach einem roten Faden, der sie von Aufgabe zu Aufgabe getragen hat, ist das mit Sicherheit ihre Neugierde. Denn wahrscheinlich findet man nicht so schnell eine Hospizleiterin, die Mathematik studiert hat und das auch nicht bereut. „Mathematik war meine Herzenssache nach dem Abitur. Daher verspüre ich keine Fluchttendenzen, wenn ich es etwa mit Haushaltsplänen zu tun habe“, sagt sie. Das ist keine schlechte Ausgangslage, denn sie muss in dem Haus mit 20 hauptamtlichen und vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern auch auf die Finanzen schauen. Ihren Doktortitel jedoch hat Gratz bei den Medizinern, Abteilung Humanbiologie, erworben. Die Neugier war der Mathematikerin wieder einmal in die Quere gekommen.

Eigentlich hatte sie schon ihr Auskommen als Softwarenentwicklerin. Aber dann stellte sie fest, „dass die Arbeit hauptsächlich am Computer nicht mein Leben bis zum Ruhestand ist.“ Mit der relativ nüchternen Herangehensweise einer Naturwissenschaftlerin stellte sie fest, dass der Tod und das Sterben in ihrem Leben bisher keinen Raum eingenommen hatten. Glücklicherweise hatte die junge Frau bisher keinen nahen Tod erleben müssen. Aber vielleicht hatte sie genau daher die Ahnung „es würde mich überfordern, wenn es mich treffen würde.“

Auf der Suche nach Rüstzeug

Doch wo geht man hin, wenn man sich informieren will über das Sterben? Gratz lebte in zu dieser Zeit in Regensburg und bekam von einem Bekannten den für ihr Leben wegweisenden Tipp: Geh ins Hospiz, dort gibt es Kurse für ehrenamtliche Sterbebegleitung. Gratz war gerade mal 24 Jahre alt, die Jüngste im Kurs und fragte sich: „Ist das wirklich etwas für mich?“ Das war es. Vielleicht auch, weil Gratz’ erster Todesfall ein durchaus geglückter Abschied einer alten Dame in den eigenen vier Wänden bei Tochter und Schwiegersohn war. Mit der Familie, Hund und Katz saßen sie zwischen Tod und Beisetzung alle beisammen.

Gestorben war die Frau in Gegenwart ihrer Familie. Aber Gratz war da und gestaltete das Abschiednehmen in den eigenen vier Wänden. Da studierte sie längst – erst mal nur aus Interesse, dann aber mit Examensambitionen – Theologie. Für einige Zeit arbeitete Gratz dann weiter in ihrem Beruf, engagierte sich ehrenamtlich in der Hospizarbeit und machte schließlich den Abschluss in Theologie. Gratz hatte gelernt, „dass es möglich ist, einen Zugang zu finden, Rüstzeug mit auf den Weg zu bekommen, den Tod ins eigene Leben zu integrieren“. Aber Routine, das werde es nie werden, sagte sie. Denn die Menschen seien einfach zu verschieden.

Eine naturwissenschaftliche Größe sind der Tod und das Sterben trotz Affinität zu den exakten Wissenschaften für sie nie geworden. „Man muss den Tod als Phänomen begreifen, das Menschen trifft und fordert und das dazu führt, dass Menschen Unterstützung brauchen.“ Wie vielschichtig der Tod zu begreifen ist, hat die Theologin in ihrer Doktorarbeit untersucht. Ihr Thema war die Spiritual Care, ein interdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz in der Begleitung von Sterbenden – das Zusammenwirken von körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Aspekten. Das war ein Ansatz, der mehr war als ein rein theologischen Thema. Wieder war es Neugierde, die Gratz bei den Medizinern anklopfen ließ, Sie ließen sie in der Abteilung Humanbiologie mit ihrem übergreifenden Thema promovieren. Von 2004 bis 2008 hat Gratz in Hamburg ein Hospizzentrum geleitet, danach hatte sie bis 2013 die Einsatzleitung beim Hospizverein Germering

Trauer als lebenslanger Begleiter

Und nun wartet die nächste große Aufgabe auf sie. Denn sie soll nicht nur die Hospizarbeit koordinieren. Sie soll auch das trauerpastorale Zentrum auf den Weg bringen, das in der unmittelbaren Degerlocher Nachbarschaft, in der Gemeinde Maria Hilf, entstehen soll. Hier will das katholische Stadtdekanat sein Angebot für trauernde Menschen oder auch solche, die wie Gratz vor 20 Jahren, einen Zugang zum Thema finden wollen, bündeln. Gratz weiß, dass sie dabei auf die zehn Jahre katholischer Hospizarbeit aufbauen kann und dass Trauer ganz viele Facetten hat und einen ein Leben lang begleitet.