Neue Migrantenpartei Wieviel Erdogan steckt in Dava?

Die neue Dava-Partei steht als politischer Arm des türkischen Staatschefs Erdogan in der Kritik. Foto: IMAGO/Steinach

Die neue türkisch geprägte Dava-Partei kann sich in Baden-Württemberg auf Vorfeldorganisationen von Präsident Erdogans Partei AKP stützen. Das schürt Sorgen – auch unter Migranten.

Turan Tekin, Landesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Baden-Württemberg (KGBW), ist über die neue Partei Dava (Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch) alarmiert: „Es ist grundsätzlich problematisch, wenn eine Partei nur auf das türkisch-islamistische Spektrum aufbaut. Das ist gefährlich für unser Zusammenleben und fördert die Parallelgesellschaft.“ Für den Böblinger Tekin, in Deutschland gut integriert, steht fest: „Mit der Gründung von Dava wird Ankara auch direkten Einfluss auf unsere Politik nehmen.“ Daher müsse die Gruppierung – derzeit noch eine politische Vereinigung, mit dem Ziel bei der Europawahl und bei der Bundestagswahl 2025 anzutreten – „genau beobachtet werden und darf nicht verharmlost werden“, so Tekin.

 

Bekanntes Führungspersonal

Der Migranten-Vertreter bezieht sich bei seiner Analyse auf das bekannt gewordene Dava-Führungspersonal: Spitzenkandidat für die Europawahl wird laut Gründungserklärung der Anwalt Fatih Zingal. Das Ex-SPD-Mitglied tritt als als Sprecher bei der Union Internationaler Demokraten (UID) mit Sitz in Köln auf, laut Bundesamt für Verfassungsschutz der bedeutendste Akteur der Regierung in Ankara zur Beeinflussung der türkischstämmigen Diaspora. Auf Platz zwei steht der Arzt Ali Ihsan Ünlü, zeitweise hochrangiger Ditib-Funktionär. Ditib untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die Staatschef Recep Tayyip Erdogan unterstellt ist. Auf Listenplatz drei findet sich der Hamburger Arzt Mustafa Yoldas, der den Behörden wegen „Unterstützung der Hamas und ihr nahestehenden Organisationen“ auffiel. Er leitete auch die „Internationale Humanitäre Hilfsaktion“ (IHH), die 2010 verboten wurde, und saß im Vorstand der vom Verfassungsschutz beobachteten Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). In den sozialen Medien outet sich Yonca Kayaoglu als fünfte Dava-Kandidatin . Die frühere Esslinger Gymnasiastin mit Master in Elektrotechnik war Sprecherin der UID-Jugend Baden-Württemberg.

Verfassungsschutz: AKP-Vorfeldorganisation

Zu dieser „AKP-Vorfeldorganisation“ vermerkt der Verfassungsschutz Baden-Württemberg, dass „die UID personell und materiell mit der türkischen Regierung verflochten ist“. Zudem gebe es „eine Nähe zu türkischen Rechtsextremisten“. Im Südwesten gibt es drei UID-Regionalverbände und eine Vielzahl von Ortsgruppen, darunter in Ulm, Tübingen oder Balingen und früher auch in Nürtingen. „Dava wird vor allem über die UID und die Moscheeverbände wie Ditib, IGMG und über die türkisch-nationalistischen Strukturen ihre Wähler mobilisieren“, erwartet Eren Güvercin von der FDP-nahen Organisation „Liberale Vielfalt“.

Den Einfluss aus Ankara weist der Dava-Parteichef Mehmet Teyfik Özcan, der als Journalist für das deutsche Portal des türkischen Staatssenders TRT arbeitet, weit von sich. Auf Facebook spricht er von „üblen Verleumdungen“. Auch eine finanzielle Unterstützung aus der Türkei bestreitet er. „Wir finanzieren uns ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und hoffen natürlich auf Spenden unserer Wähler“, sagt er auf Anfrage. „Wir sind eine deutsche Partei, gegründet von deutschen Staatsbürgern.“ Das Dava-Programm klingt zunächst fortschrittlich: „Mit einem klaren Bekenntnis zu Vielfalt und Toleranz positionieren wir uns vehement gegen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus“, heißt es in der ersten Erklärung der Partei. Auch von „Ausgrenzung und Chancenungleichheit“ von „Menschen mit ausländischen Wurzeln“ ist die Rede.

Antisemitische Hetze

Doch neben engen personellen Verflechtungen der Partei mit der türkischen Regierung wecken auch öffentliche Äußerungen der Parteioberen Zweifel. Da liegt der Schluss nahe, dass es am Ende doch darum geht, für Erdogans antidemokratische, türkisch-nationalistische und islamistische Politik auf Stimmenfang zu gehen. Parteichef Özcan wirft Israel etwa nach dem Terror der Hamas am 7. Oktober auf Facebook einen „Genozid“ vor und beschreibt Gaza als „aktuell das größte KZ auf der Welt“. Außerdem vergleicht er Israels Vorgehen in Gaza mit den Gaskammern der Nazis: „Völkermord früher: Menschen in Raum einsperren & vergasen. Völkermord heute: Menschen in ein Gebiet einsperren & Bomben abwerfen“, heißt es in einem Post von Oktober 2023. Und Mustafa Yoldas setzt Israel auf eine Stufe mit den Nationalsozialisten. „Kann mir jemand den Unterschied zwischen Warschauer Ghetto und Gaza erklären?“, schreibt er Anfang November 2023 bei Facebook.

Kein homogenes Wählerpotenzial

„Die bisher bekannten Ziele der Dava-Partei liegen voll auf der Linie der türkischen Propaganda“, analysiert Friedmann Eißler, Islambeauftragter der württembergischen Landeskirche. Diese verbreite auch antisemitische Hetze. Um die Muslime in sein Lager zu treiben, erkläre Erdogan die muslimische Minderheit zu Opfern der Mehrheitsgesellschaft. „Eine infame Strategie, die auf die Ressentiments deutscher Rechtsaußen aufspringt und sie verstärkt“, meint Eißler.

Güvercin sieht Erfolgschancen für die neue Partei bei der Europawahl, denn es gebe keine Fünfprozenthürde: „Es ist durchaus realistisch, dass sie ein bis zwei Abgeordnete ins Europa-Parlament bringen können.“ Was die Wahlchancen mit diesem Personal auf Bundes- oder Landesebene anlangt, bleibt er aber skeptisch. In Eißlers Augen erhöhe das neue Einbürgerungsrecht, das den Zugang zum deutschen Pass erleichtere, die Erfolgsaussichten. In der türkeistämmigen Minderheit aber ein homogenes Wählerpotenzial zu sehen, hält er für falsch: „Aleviten, Kurden oder Kemalisten werden die Erdogan-Linie überhaupt nicht wollen.“

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