Was passiert nach dem Sterben? Die neue Mysteryserie „The OA“ wagt sich in die Grenzbereiche zwischen Leben und Tod und stiftet allerlei Verwirrung.

Stuttgart - Sieben Jahre lang war Prairie Johnson verschollen. Nun taucht die junge Frau plötzlich wieder auf und kann sogar sehen. Das ist umso erstaunlicher, da sie einst als blindes Mädchen spurlos verschwand. Während sich die Menschen in und um Michigan fragen, wie denn das bitte passieren konnte, verschließt sich Prairie und verweigert auch gegenüber ihren Adoptiveltern und dem FBI die Antworten. Stattdessen eint sie eine kleine Gruppe von örtlichen Außenseitern, um deren Mitgliedern ihre tragische Geschichte zu offenbaren. Der Kern, sagt Prairie, sei nicht, wieso sie plötzlich wieder sehen könne, sondern wie sie damals ihr Augenlicht verlor.

 

Alleine der Plot der neuen Mysteryserie auf Netflix hat all das Besteck für bestens ausgeleuchteten Episodenspaß, und bereits in der ersten von acht Folgen werden Unmengen an Fragen mysteriös und durchaus behutsam in den Raum gestellt – ein Irrgarten aus Türen, Ahnungen und Möglichkeiten.

Erdacht wurde „The OA“ von Zal Batmanglij und Brit Marling, die sich gemeinsam schon 2011 mit „The Sound Of My Voice“ einer ähnlich verworrenen Science-Fiction-Geschichte annahmen. Brit Marling, die Prairie Johnson spielt, schrieb sich hier abermals einen Charakter auf den Leib – produziert unter anderem von Brad Pitt.

Séancen-Quatsch bei Kerzenlicht

Doch was Netflix mit der Serie „Stranger Things“ in diesem Sommer fast perfektionierte, läuft bei „The OA“ ein ums andere Mal gegen Widerstände. Die Vermutung liegt nahe: Es handelt sich um die zahlreich herbeigerollten und wahllos geöffneten Fässer, die den Charakteren Sinn und Tiefe verleihen sollen, die dann aber doch nur achtlos im Raum stehen bleiben, beziehungsweise die eigentliche Geschichte an der Entfaltung hindern.

Die Charaktere, das sind Steve – der drogendealende Schulschläger, Buck – das gendergeplagte Goldkehlchen aus dem Schulchor, Jesse – ein Nerd, Alfonso – der begabte Stipendiat mit depressiv versoffener Mutter, und Betty – die verhuschte Highschool-Lehrerin. Mittendrin sitzt Prairie auf dem Dachboden eines leer stehenden Hauses, um ihnen bei Kerzenlicht und etwas Séancen-Quatsch ihre aufwühlende Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte über das Suchen.

Die dreht sich aber auch – Achtung: Minimalspoiler – um Dr. Hunter Hap, einen besessenen Wissenschaftler, der Prairie jahrelang als eine Art Laborratte hielt, um der Frage nachzugehen, wohin die Seele und das Leben weicht, wenn Menschen sterben. Er erforscht das grauenvoll an einer Gruppe von unfreiwilligen Probanden mit Nahtod-Erfahrungen – Prairie ist eine davon.

Da trifft Astrophysik auf Hitchcock, Macht auf Ohnmacht, Spiritualität auf Glauben, das Bewusstsein auf das Dasein, und die Willenskraft kämpft mit dem Schicksal. Dies wiederum wird spätestens dann zu etwas viel Holz, wenn auch noch offen stehende Haustüren, FBI-Seelsorger, Homer, Kampfhunde, Erbschaften, eine Besserungsanstalt, „Better Man“ von Pearl Jam, bizarres Tanztheater und immer wieder Albträume und Vorahnungen eingestreut werden. Prairie bekommt davon Nasenbluten, dem Zuschauer wiederum wird schon leicht schwindelig.

Ist der Tod nur die Rolltreppe zu einer anderen Ebene?

Da schafft auch das gut gecastete Serienensemble mit Independent-Schauspielern wie Patrick Gibson, Ian Alexander oder Brendan Meyer kaum Abhilfe. Angereichert durch bekannte (Serien-)Gesichter wie Riz Ahmed (Naz in „The Night Of“, „Rogue One“) und Scott Wilson (Hershel in „The Walking Dead“) ereilt alle ein ähnliches Schicksal: Kaum einer von ihnen bekommt wirklich die Chance, sich selbst wenigstens stückweit zu erzählen, und so bleibt lediglich ein Berg von grob angedeuteten Informationen und kaum Charaktertiefe. Das wiederum irritiert besonders, da genau diese Eigenschaft Serien vom gängigen Spielfilm unterscheidet, dem es ja an Zeit mangelt, einen Charakter zu zeichnen oder gar zu entwickeln.

„The OA“ ist trotzdem kein Blödsinn oder gar lieblos. Die Mysteryserie bleibt lediglich hinter den angedeuteten Möglichkeiten der erzählten Handlung zurück. Denn die wird mit beeindruckenden Bildern geschmückt und in ebensolchen Farben ausgeleuchtet – gerne auch mit Blick auf die physische Beschaffenheit der Hauptdarsteller. Und natürlich stellt „The OA“ elementare Fragen, zum Beispiel wie weit die Wissenschaft gehen darf, um das Rätsel des Lebens zu entschlüsseln oder ob es tatsächlich verschiedene Bewusstseinsebenen gibt, auf denen sich die Lebenden und Toten bewegen und der Tod lediglich die Rolltreppe zu einer anderen Ebene ist.

„The OA“ tritt auch den Beweis an, dass Großes vollbracht werden kann, wenn sich die vermeintlich Schwachen, die Gebeutelten, die Außenseiter ihrer Kraft bewusst werden und Hand in Hand arbeiten. Das Problem allein – so ähnlich wie bei Topf und Deckel: Sie müssen einander nur finden. „The OA“ zeichnet das Leben als die Suche nach dem passenden Gegenstück.

Doch was nützt das alles, wenn der Zuschauer nach dem Staffelfinale ratlos mit einer anderen elementaren Frage alleine gelassen wird: „Hä, wie bitte?!“