Die Partei der dänischen Minderheit wird diese Woche erstmals eine Landesregierung in Kiel mitverantworten. Das schürt alte Ängste und Spannungen.

Flensburg - Schon der Internetauftritt des Dänischen Gymnasiums in Flensburg lässt einen Deutschen verzweifeln: alles auf Dänisch. Jetzt steht man vor dem ziegelroten Schulgebäude von 1924, das wie ein Schloss über der Flensburger Förde thront, fühlt sich erinnert an das Internat von Harry Potter und findet sich nicht zurecht: kein einziges Schild auf Deutsch, außer dem Hinweis auf die Löschwassereinspeisung. Alles auf Dänisch, und wo bitte geht’s zum Schulrektor? „Komm mit, ich zeige dir den Weg“, sagt eine junge Lehrerin mit dänischem Akzent, blond und blaue Augen, und führt einen zum Rektorat. Womit wir schon beim Unterschied zwischen der deutschen Mehrheitsbevölkerung in Schleswig-Holstein (2,8 Millionen Einwohner ) und der anerkannten Minderheit der Deutschen „mit dänischer Gesinnung“ (rund 50 000) sind: Die „Dänen“ sind bekannt für ihre Lockerheit und sie duzen jeden mit Ausnahme ihrer Königin.

 

Die Volksgruppe gehört – wie Friesen, Sorben, Sinti und Roma – zu den vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland, ihre Mitglieder sind selbstverständlich deutsche Staatsbürger. Rektor Ebbe Rasmussen, ein Skandinavistik- und Sportlehrer mit weißem Haar, ist allerdings wie die meisten seiner Kollegen, aus Kopenhagen entsandt, ein echter Reichsdäne, wie man so sagt, mit dänischem Pass. Er erklärt die Abwesenheit des Deutschen im Erscheinungsbild der Schule so: Nun ja, das sei eine dänische Schule, stark unterstützt auch von Dänemark, deshalb sei hier alles dänisch – der Unterricht, die Schilder, die Schulsprache. Man möge sich doch mal vorstellen, es käme da eine Delegation aus Kopenhagen und die fänden hier deutsche Schilder vor. Das wäre nicht gut.

Rasmussen arbeitet seit neun Jahren in Flensburg, er ist zufrieden mit dem Job, die Anmeldezahlen steigen, die Zusammenarbeit mit Kiel klappt gut. Gerade sind die Abiturthemen eingetroffen, sie werden vom Kollegium ins Dänische übersetzt. Aber es ist in diesem Frühjahr das erste Mal, dass er ein ungutes Gefühl hat. „Es wird schwierig für den SSW, in einer Koalitionsregierung zu arbeiten, wenn man spürt, dass die deutsche Mehrheitsbevölkerung es nicht will, dass die Minderheit eine politische Rolle spielt.“

SSW steht für Südschleswigscher Wählerverband, es ist die Partei der Minderheit. Und was sich da in Leserbriefen und der öffentlichen Auseinandersetzung gegen ihn zeige, sagt Rasmussen, das sei „keine gesunde politische Atmosphäre“. Das Wort dänische Ampel beispielsweise, sagt der Lehrer, das habe er stets als positiv empfunden. Inzwischen sei es abgewertet worden, weil die CDU im Wahlkampf die „dänische Ampel“ mit Instabilität gleichsetzte.

Mit wem von der Minderheit man auch spricht in Flensburg, einer Hochburg des SSW, wo er stets 18 bis 20 Prozent der Wählerstimmen erzielt – die alten Ängste sind wieder da. Man spricht von Polarisierung und einer Kampagne. Die historischen Erinnerungen werden wach, etwa an die Nachkriegszeit, als die Dänen auf dem Weg zu ihren Schulen häufig von Deutschen aufgelauert und verprügelt wurden. Der gewaltige Zustrom von Flüchtlingen aus dem Osten nach Schleswig-Holstein erhitzte nach 1945 die Gemüter. „Für meine Eltern gab’s oft was auf die Ohren“, erinnert sich Udo Jessen, Jahrgang 1962, Zweiter Vorsitzender des dänischen Schulvereins. Er selbst habe keine Gewalt erfahren, „aber es stand für mich außer Frage, dass ich in den deutschen Fußballverein gehen kann“.

Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts wirkt noch nach. Nach dem deutsch-dänischen Krieg von 1864 ist das einst zum Königreich Dänemark gehörende Herzogtum Schleswig mit seiner dänischen und deutschen Bevölkerung geteilt worden. Der Süden kam zu Deutschland, der Norden blieb bei Dänemark. „Meine Mutter hatte nach 1945 immer geglaubt, wir werden mit Dänemark wieder vereint“, sagt Jessen. Als das nicht geschah, sei sie sehr enttäuscht gewesen. Die Spaltung in seinem Dorf sei so tief gewesen, dass sich sowohl Dänen als auch Deutsche eine eigene Turnhalle gebaut hätten – und das bei nur 1600 Einwohnern. Lange war es ruhig, aber in diesen Tagen werden die Gegensätze wieder betont.

Morddrohungen gegenüber der Parteivorsitzenden

Es wird erinnert an die Morddrohungen, die die SSW-Politikerin Anke Spoorendonk 2005 erhielt, weil ihre Partei der SPD-Regierung von Heide Simonis eine Tolerierung anbot. Die Regierung scheiterte, weil jemand Simonis die Stimme versagte, aber die Hetze ist unvergessen. „Wieso dürfen diese beiden Dänen unsere deutsche Politik bestimmen?“ titelte damals die „Bild“ über zwei SSW-Politiker.

Lars Bethge, Pressesprecher des SSW, kommt verspätet zum Treffen ins Fischlokal Piet Henningsen am Kai, wo die alten Rahsegler liegen. Sein Ohr ist am Handy, der britische „Economist“ ist dran, eines der renommiertesten Magazine der Welt, er will eine Story über die dänische Minderheit. Bethge (41), in Bielefeld studierter Soziologe und seit Langem SSW-Sprecher, sagt, lange sei der Job recht langweilig gewesen. Er hatte sein Handy ständig eingeschaltet, aber keiner rief an. Die Medien hätten die kleinen Oppositionsparteien in Kiel wie Linkspartei und SSW oft ignoriert. Seit die drei SSW-Abgeordneten der rot-grünen Koalition von Torsten Albig (SPD) zu einer Mehrheit verhelfen sollen – gewählt wird der Ministerpräsident am 12. Juni – blickt alles auf die „Dänen“. Sie sind das Zünglein an der Waage. Sonderparteitage aller drei Parteien haben das Bündnis am Wochenende abgesegnet.

Bethge ist vom politischen Profil seiner Partei überzeugt, ihrer Orientierung am skandinavischen Bildungsmodell, ihrem Plädoyer für solidarisches Handeln, starke Kommunen und Dezentralität. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung wird der SSW allein aufs Dänische fixiert. „Es ist doch ein bisschen viel der Ehre für unsere kleine Partei, dass ausgerechnet wir der neuen Regierungskoalition den Namen geben sollen – Dänenampel“, sagt Bethge.

Populismus an allen Fronten

Dabei erhielt der SSW 4,6 Prozent der Stimmen und stellt drei der 69 Abgeordneten im Parlament. Aber indem der politische Gegner den SSW aufbläht, wertet er ihn ab. Auf die Dänen zu zielen scheint populär zu sein. So hat die Junge Union nach der Landtagswahl eine Kampagne gegen die Befreiung des SSW von der Fünfprozenthürde gestartet mit dem Argument, „auch andere Minderheiten“ erführen Achtung „ohne dieses Privileg“. Das stößt beim SSW sauer auf. Man sei nicht Migrant, sondern angestammte Bevölkerung. Auch, dass Lokalzeitungen ihr Mütchen am SSW kühlen, die „Dithmarscher Landeszeitung“ etwa, die ihre Leser nach ihrer Meinung zu den seit 1955 bestehenden Rechten des SSW befragt, wird stirnrunzelnd registriert: Bethge zeigt im iPad einige Leserbriefe. Da schreibt einer von den „Speckdänen“. Das sei für ihn „extrem beleidigend“, sagt Bethge, denn es sei ein Kampfbegriff der Nachkriegszeit, als viele Nichtdänen sich in der Hoffnung auf Zuwendungen aus Kopenhagen als Dänen ausgaben. Ein Leser schreibt: „Trotz allen globalen Miteinanders sind wir nicht in Dänemark, sondern in Deutschland.“

Dabei regiert die Partei der dänischen Minderheit längst geräuschlos in Flensburg. Im neuen Rathaus der 86 000-Einwohner-Stadt residiert im 13. Stockwerk der SSW-Bürgermeister Simon Faber. Lange Zeit hat der Musikwissenschaftler aus Flensburg in Dänemark gearbeitet, dann war er sieben Jahre Politikreferent für den südschleswigschen Kulturverein. Im November 2010 wählten die Flensburger den Mann mit der dänischen Gesinnung zu ihrem Oberbürgermeister, er bekam 54 Prozent in einer Stichwahl gegen einen gemeinsamen Kandidaten von CDU und Grünen. Der 43-Jährige verfügt über Charisma und hat eine Vision von der grenzüberschreitenden Region, die Flensburgs „Randlage“ vergessen machen könnte. Faber hat es eingefädelt, dass sich der dänische Flughafen Sonderborg nun den Namenszusatz „Flensburg“ geben wird. Er wirbt für die europäische Kulturhauptstadt Sonderborg 2017, weil sie nach Flensburg ausstrahlen könnte und erinnert an die 13 000 deutschen Pendler, die „drüben“ arbeiten. Aber auch Faber erfährt in seinem Amt die Polarisierung: „Da taucht immer wieder die Behauptung auf, ich kümmere mich nur um die dänischen Kontakte.“

Lautstark sollte ein SSW-Politiker seine Belange wohl nicht vertreten, Leisetreterei ist klüger. Der Vorschlag, nicht nur deutsche, sondern auch dänische Schilder für die Touristen in der Stadt aufzustellen, sei von der CDU gekommen, mit der er übrigens oft zusammenarbeite, sagt Faber. Oder es kam die Idee von der Linksfraktion, den Löwen von Idstedt, ein Siegerdenkmal der Flensburger Dänen von 1850, der lange im Exil geparkt wurde, mitten in Flensburg als Zeichen der Versöhnung aufzustellen. So geschah es dann auch 2009, aber hätte der SSW dies gefordert, heißt es, hätte dies wohl helle Empörung ausgelöst. Aber auch so war die Sache derart heikel, dass im Gemeinderat eine einstimmige Zustimmung verabredet war, die dann von einigen CDU-Stadträten nicht eingehalten wurde – noch so eine Enttäuschung für die Dänen.

Udo Jessen vom Schulverein glaubt, dass man trotz der Sticheleien auf gutem Weg ist: „Wir sind vom Gegeneinander über das Nebeneinander zum Miteinander gekommen.“ In seinem Dorf würden dänische und deutsche Vereine mittlerweile ihre Turnhallen wechselseitig nutzen. In seinem Vorgarten hänge der dänische Wimpel und an königlichen Feiertagen auch die Flagge: „Mein Nachbar hisst die Schleswig-Holstein-Fahne und ich mache dann Witze: Na, hast du wieder die Spalter-Flagge hochgezogen?“ Er sei deutscher Bürger, sagt Jessen, fühle sich aber als Südschleswiger und das Dänische sei seine Herzenssprache. „Meine Tochter sieht das anders. Sie sagt, Vater, ich bin Europäerin.“