Die Hersteller von Arzneimitteln und Medizintechnik beschäftigen in Baden-Württemberg 175 000 Menschen. Die Branche gehört nicht zur zu den größten Arbeitgebern, sie trägt auch mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten zur wirtschaftlichen Dynamik im Land bei.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Wenn es um das große Geschäft im Pharmasektor geht, ist meist von US-Konzernen die Rede – zuletzt etwa vom Viagra-Hersteller Pfizer, der den Konkurrenten Allergan für 160 Milliarden Dollar schluckt. Deutsche Konzerne spielen bei solchen Megadeals schon lange keine große Rolle mehr; unter den zehn größten Pharmaherstellern der Welt findet sich kein einziger aus Deutschland. Manche Branchenbeobachter beschwören bereits den unausweichlichen Abstieg des Pharmastandorts Deutschland herauf.

 

Thomas Mayer will nicht in dieses Klagelied einstimmen. Im Gegenteil, der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Verbände Baden-Württemberg sieht nicht nur die Pharmaindustrie, sondern die gesamte Gesundheitsindustrie im Südwesten gut aufgestellt. Das Fusionsfieber bei Big Pharma beeindruckt ihn nicht. „Wir haben in Baden-Württemberg eine ganz andere Struktur als in den USA“, sagte Mayer am Donnerstag in Stuttgart. Im Südwesten hätten mittelständische Unternehmen eine starke Stellung – „und die investieren oft mehr als Aktiengesellschaften, die sich vor den Anlegern rechtfertigen müssen“. Die Unternehmen in Baden-Württemberg seien „so spezialisiert und vielfältig, dass wir nicht zurückfallen werden“.

Studie belegt volkswirtschaftliche Bedeutung

Um die volkswirtschaftliche Bedeutung der Gesundheitsindustrie im Land zu verdeutlichen, stellte der Verbandschef eine Studie des Darmstädter Wirtschaftsforschungsinstituts Wifor vor, in der Pharma, Medizintechnik und Biotechnologie unter dem Oberbegriff „industrielle Gesundheitswirtschaft“ erstmals gemeinsam betrachtet werden. Außen vor bleiben medizinische und ärztliche Dienstleistungen sowie die Bereiche Pflege und Kuren.

Laut der Studie mit dem Titel „Der ökonomische Fußabdruck der industriellen Gesundheitswirtschaft in Baden-Württemberg“ arbeiten in den genannten Branchen knapp 175 00 Menschen. Rechnet man die Jobs in anderen Branchen hinzu, die von der Gesundheitswirtschaft abhängen – etwa bei Zulieferern, im Handel oder in der Logistikbranche – kommt die Studie sogar auf eine Gesamtzahl von knapp 300 000 Beschäftigten. Zum Vergleich: bei Autoherstellern und -zulieferern arbeiten laut Statistischem Landesamt 210 000 Menschen. Dadurch, dass die Beschäftigten der Gesundheitsindustrie einen großen Teil ihrer Einkünfte wieder ausgeben – etwa für Einkäufe –, würden weitere knapp 100 000 Jobs gesichert, rechnet Studienautor Dennis Ostwald vor. „Insgesamt hängen an jedem Erwerbstätigen in der industriellen Gesundheitswirtschaft 1,26 Jobs in der übrigen Wirtschaft.“

Auch gemessen an der Bruttowertschöpfung – das ist der Wert der produzierten Güter- und Dienstleistungen abzüglich der Ausgaben für Vorleistungen wie Rohstoffe oder Zulieferteile – ist die Gesundheitsindustrie im Südwesten ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor. Mit fast 14 Milliarden Euro hat sie einen Anteil von 3,5 Prozent an der landesweiten Bruttowertschöpfung. Rechnet man auch hier alle indirekten Effekte hinzu, verdoppelt sich der Wert auf 28 Milliarden Euro. Auf jeden Euro Wertschöpfung in der Gesundheitsindustrie kommt ein Euro Wertschöpfung in anderen Branchen. „Deshalb ist es wichtig, den Gesundheitssektor nicht nur als Kostenfaktor zu betrachten, sondern auch unter Wachstums- und Beschäftigungsgesichtspunkten“, sagte Ostwald. Mayer warnte die Politik in diesem Zusammenhang davor, die Rahmenbedingungen für die Branche zu verschlechtern – etwa durch strengere Erstattungsregeln für Medikamente. Obwohl der Exportanteil der Unternehmen oft bei mehr als 80 Prozent liege, sei der heimische Markt nach wie vor wichtig: „Medikamente, die in Baden-Württemberg produziert werden, müssen auch in Baden-Württemberg helfen.“

Überdurchschnittliche Wachstumsraten

Die Studie, die Wifor im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt hat, attestiert der Branche auch überdurchschnittliche Wachstumsraten. So sei die Wertschöpfung der Gesundheitsindustrie zwischen 2004 und 2014 im Durchschnitt jährlich um 2,2 Prozent gewachsen und damit rund 0,6 Prozentpunkte stärker als die Gesamtwirtschaft im Südwesten. Auch der Export habe kräftig zugelegt – auf mittlerweile gut elf Prozent der landesweiten Ausfuhren. Die Beschäftigung habe sich mit knapp 10 000 zusätzlichen Jobs seit 2004 ebenfalls positiv entwickelt. Allerdings lag hier der jährliche Anstieg mit 0,6 Prozent niedriger als in Baden-Württemberg insgesamt, wo die Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum um jährlich 0,9 Prozent gestiegen ist. Positiver Nebeneffekt des vergleichsweise schwachen Jobwachstums in der Branche sei eine deutlich gestiegene Produktivität je Mitarbeiter, die zur Attraktivität des Standorts beitrage.