Der neue Darts-Weltmeister Gerwyn Price kommt aus dem Rugbysport – und eckt nun an der Scheibe mit seinen Muskelspielen an. Fakt ist: Der Champion aus Wales ist ein echter Typ.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/London - Wenn der Stiernacken anschwillt, der Bizeps noch dicker wird und die Schallwellen seines Urschreis die Hallendecke vibrieren lassen, dann stecken die zarten Pfeile dort, wo sie das Muskelpaket mit seinen kräftigen Fingern hinwerfen wollte. „BUAAAAAAAAAAH“ – das schreit Gerwyn Price nach erfolgreichen Würfen. Ein Mann markiert sein Revier. Zuerst mit Pfeilen an der Darts-Scheibe. Dann davor – mit Muskelposen und dem Schrei. Ein Mann, ein Wort: „BUAAAAAAAAAAH“. Oder besser: „BUAAAAAAAAAAAAAAAAAAHH“.

 

Der Waliser Gerwyn Price ist der neue Weltmeister. Am Sonntagabend krönte sich der 35-Jährige im Londoner Alexandra Palace zum Champion. Der 7:3-Finalsieg über Schottlands Ex-Weltmeister Gary Anderson war die Krönung für Price: Es war die Krönung des Animalischen. Es war die Krönung für den Mann, der Grobmotorik mit Feinmotorik vereint. Für diesen Typen, der erst seelenruhig eine 180 wirft und dann ausflippt.

BUAAAAAAAAAAAAAAAAHH!

Price sagte mal dies zu seinen Poser-Auftritten vor der Scheibe: „Die Leute glauben, ich mache das, um den Gegner abzuschrecken, um in ihren Kopf zu kommen. Und das tut es: Ich komme in ihren Kopf. Aber deswegen mache ich das nicht.“ Denn Price weiß: Ohne seine Aggressivität kann er nicht spielen. Heute nicht. Und früher erst recht nicht.

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Price kommt aus dem Rugbysport. Er träumte vom walisischen Nationalteam – der Traum platzte, als er sich vor knapp sieben Jahren an der Hand verletzte und schon vorher ahnte, dass es fürs Toplevel nicht reicht. Später, als seine Welt eine Scheibe wurde, sagte Price: „Vor ein paar Jahren war ich noch Rugbyspieler, heute ziehe ich Darts-Profis das Geld aus der Tasche.“

Der Proll provozierte also auch verbal und nicht nur vor der Scheibe. Er polarisierte. Viele Fans buhten ihn aus. Andere feierten ihn ab. „Das beschäftigt mich nicht“, sagte Price der „Welt“ dazu mal in einem Interview: „Die Leute können mich mit Bier oder Münzen beschmeißen, mich bespucken. Das würde mich nicht aus der Ruhe bringen.“ Und aus dem Schreien erst recht nicht.

Eklat vor zwei Jahren

Oft ist im Sport von echten Typen die Rede (oder zumindest von der Sehnsucht danach). Price ist so einer, ob man ihn mag oder nicht. Er entwickelte sich zum Bad Boy der Darts-Szene – der sich inzwischen allerdings im Griff hat, wenn es darauf ankommt. Früher war das noch anders.

Vor zwei Jahren etwa kam es beim Finale des Grand Slams zwischen Price und dem Finalgegner vom Sonntag, Gary Anderson, zum Eklat. Price feierte gute Würfe immer wieder demonstrativ in Richtung seines Gegners, anstatt – wie üblich – die Darts nach dem Wurf aus dem Board zu holen. Anderson ließ sich sogar zu einem Schubser hinreißen. Price bekam eine dreimonatige Sperre auf Bewährung und eine saftige Geldstrafe vom Weltverband aufgebrummt.

Jetzt, im Finale von London, zügelte Price sein Temperament. Die Jubelschreie kamen, klar, aber sie kamen nicht so oft wie gewohnt. Sie kamen dosierter. Ein Mann hat sich im Griff. Früher gestaltete sich das anders. Auch im echten Leben.

Kein Durchbruch

Vor knapp zehn Jahren provoziert Price mal wieder in einem Pub in Wales, unmittelbar danach bekommt er draußen die Rechnung. Mit 42 Stichen muss er genäht werden, nachdem er vor der Tür nach einem Faustschlag des Provozierten mit dem Kopf auf den Boden knallte. Seine linke Augenbraue bleibt für immer gelähmt.

Auch im Rugby macht Price auf sich aufmerksam, aber das positiv. Er schafft es in die walisische Premier League, er träumt vom Nationalteam. Der große Durchbruch aber bleibt ihm verwehrt. Auch weil er die Balance im Leben nicht findet. Feiern (und manchmal provozieren), das ist dem jungen Price so wichtig wie der Sport. Im Rugby ist Price als sogenannter Hakler aktiv, auf einer Position also, die zu einer der gefährlichsten zählt, vorne, an der Front. Er verletzt sich schwer am Zeigefinger der linken Hand.

Die nächste Karriere?

Dann startet er mit der rechten Hand durch. Price entdeckt den Dartssport für sich, wird darin immer besser. Er entwickelt Leidenschaft – und sieht 2014 ein, dass es mit der alten Liebe Rugby nichts mehr wird. Stetig steigt Price auf. Der Kraftprotz entdeckt die Feinmotorik. Und er perfektioniert sie. Gerwyn Price taugt damit auch als perfektes Sinnbild für eine Sportart, die schon vielen anderen Gescheiterten eine zweite Chance im Leben bot.

Jetzt ist Price Weltmeister. Und der 35-Jährige hat auf Sicht längst andere Pläne. Spätestens mit 50 Jahren soll Schluss für ihn sein, das sagt er immer wieder. Dann wolle er sein Leben irgendwo in der Sonne genießen.

Vielleicht aber wird seine Zeit als Darts-Profi auch kürzer. Der neue Weltmeister sagte kürzlich, dass er glaube, auch gut genug Snooker zu spielen, um es dort zu schaffen. Das wäre dann der Profisport Nummer drei im bewegten Leben des Gerwyn Price.

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