Ein Mittelalter-Philosoph trifft auf einen Film-Komiker: Markus Orths führt in seinem neuen Romas Thomas von Aquin und Stan Laurel im Jenseits zu einem „Picknick im Dunkeln“ zusammen.

Stuttgart - Zwei Männer tappen im Dunkeln. Sie haben keinen blassen Schimmer, wo sie sind und wie sie wieder aus dem finsteren Loch heraus kommen, aber immerhin, „solange wir reden, leben wir“. Der eine ist Stan Laurel, die dünnere Hälfte von Dick und Doof, der „unabsichtliche Anarchist“ mit Melone und Fliege. Der andere ist der berühmteste Theologe der Welt, eine „Geistseele“, so dick, dass man ihm der Legende nach zum Schreiben einen Halbmond aus dem Tisch heraussägen musste: der „stumme Ochse“ Thomas von Aquin. Stan Laurel starb 1965, Thomas 1274. Siebenhundert Jahre liegen zwischen dem Komiker und dem gelehrten Dominikanermönch, aber zusammen sind sie ein unschlagbares Paar. Nicht zufällig nannte der irische Dramatiker Samuel Beckett immer Stan und Ollie als Idealbesetzung für seine metaphysische Clownerie namens „Warten auf Godot“ – leider konnte es auf der Bühne dazu nicht mehr kommen.

 

Markus Orths rüttelt gern mit kühnen Versuchsanordnungen und bizarren Gedankenspielen an den Grundfesten unserer Logik. Gerade eben hat er in einem Kinderbuch „Luftpiraten“ beschrieben, die hoch über der Erde in wolkigen Luftlöchern hausen. Jetzt also treffen sich Stan und Tommie im Totenreich, an der Schwelle zwischen Seligkeit und Verdammnis. Geschickt verwebt Orths drei Erzählebenen: das physische Herumirren im Dunkeln, philosophisch-theologische Dispute über Gott und die Welt, schließlich Erinnerungen aus dem Leben von Komiker und Kleriker.

Der Philosoph will Gott, der Schauspieler seinem Vater imponieren

Die beiden haben manches gemein, aber sie sind getrennt durch mehr als nur Zeit und Raum: Mittelalter trifft hier auf 20. Jahrhundert, Showbusiness auf Kirche, Glauben auf aufgeklärte Skepsis. Stan war fünfmal verheiratet, Thomas liebte allenfalls die fromme Andra züchtig. Der italienische Theologe wollte Gott ehren und die Welt mit allen Sinnen begreifen, der britische „Schlauspieler“ vor allem seinem Vater imponieren. Das Lachen und der Tod bringen sie zusammen. Die ausweglose Lage, das Zittern und Blödeln im stockfinsteren Keller und am meisten das gemeinsame Reden, die Solidarität der Nichtsehenden. Jeder für sich ist nur hilflos, einsam, dumm, schwach; zusammen sind sie immerhin weniger „menschenseelenallein“.

Thomas von Aquin ist eindeutig der Klügere. Aber er hat auch ein paar Bretter vor dem Kopf, etwa seinen stoisch unbeirrbaren Glauben an die eine Wahrheit, um den Stan ihn manchmal beneidet. Orths will mit dem Roman auch seinem verstorbenen Vater ein Denkmal setzen, der absolutes Gottvertrauen mit unverwüstlichem Humor und fröhlicher Erzähllust verband. Selbst Doktor Allwissend weiß eben nicht alles: Thomas hat naturgemäß noch nichts von Kant und Darwin, Film und Fernsehen gehört. Sein Laienbruder klärt ihn über die Errungenschaften der Moderne auf. Der Aquinat kann nicht in Stans „heilloses Lachen“ einstimmen, schmunzelt aber auch mal gern über seine Schwiegermutterwitze. Nicht nur für kindliche Luftpiraten gilt: „Sinnlosigkeit macht sich Luft im Unsinn.“

Lachen ist für den Autor praktische Lebenshilfe

Orths hat Philosophie studiert und weiß aus dem berühmten Thomas-von-Aquin-Buch des englischen Schriftstellers Gilbert Keith Chesterton, dass Glauben und Lachen sich nicht ausschließen müssen. Am Ende profitieren alle von der Versöhnung der Gegensätze: Der Komiker wird im Lauf des Romans weltweise, der selige Doctor Angelicus dagegen albern und übermütig.

Stan findet hier einen Freund, der ihn, anders als Ollie, nicht ständig herumschubst, und Thomas lernt, aus vollem Herzen und intellektuell unbeschwertem Kopf zu lachen. Lachen ist für Orths praktische Lebenshilfe und „Einübung ins Sterben“. Stan geht mit dem (historisch verbürgten) letzten Wort „Ich möchte jetzt lieber sterben als Ski fahren“ hinüber. Thomas von Aquin hört mit dem Schreiben auf und beginnt eine Schneeballschlacht; von ihm bleibt der Abdruck eines „fetten Engels im Schnee“. Auch von „Picknick im Dunkeln“ bleibt ein guter Eindruck: Orths macht das Schwere leicht und das Dunkle hell. In seinem Kammerspiel bleibt alles in der Schwebe zwischen absurder Parabel und scholastischem Klamauk. Treffen sich zwei Männer im Dunkeln: So fangen eigentlich schlechte Witze an. Bei Orths wird aus Grimassieren im Dunkeln höhere Lebensweisheit.

Markus Orths: Picknick im Dunkeln. Roman. Hanser Verlag, München. 238 Seiten, 22 Euro