In einem neuen Buch spricht der frühere Finanzsenator Berlins dem Euro jeden Vorteil ab. Mancher seiner Thesen stehen auf dünnem Eis.

Berlin - Thilo Sarrazin weiß, wovon er spricht. Als früherer Spitzenbeamter, Finanzsenator und Bundesbankmitglied beschäftigt er sich seit Jahrzehnten mit dem wirtschaftlichen Zusammenwachsen Europas. Als der SPD-Politiker noch seine Ämter ausübte, war von ihm allerdings nichts Kritisches zum Euro zu hören. In seinem neuen Buch „Europa braucht den Euro nicht“ liest Sarrazin der Politik die Leviten. Er argumentiert, für den ökonomischen Fortschritt Europas bedürfe es keiner gemeinsamen Währung. Für das Wohl einzelner Länder sei es besser, den Euroraum zu verlassen. Die StZ stellt wichtige Aussagen des Autors in den Zusammenhang und erläutert sie. 1. These „Gemessen am Wohlstandsindikator Bruttoinlandsprodukt brachte die Währungsunion für viele Mitglieder schwere Nachteile, für Deutschland hingegen keine Vorteile.“

 

Dass der Euro einen Vorteil brachte, stellt er in Abrede

Sarrazin wendet sich gegen den vorherrschenden Eindruck, Europas gemeinsame Währung habe ein gutes Jahrzehnt nach der Einführung ökonomischen Fortschritt gebracht. Dazu vergleicht er die Wachstumszahlen von Euroländern mit Nicht-Eurostaaten wie Großbritannien und Schweden. Das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum stieg von 2008 bis 2012 um 21 Prozent und damit langsamer als in Schweden (plus 41 Prozent) und Großbritannien (plus 32 Prozent), sagt Sarrazin. Auch die Beschäftigungsentwicklung sei in Ländern, die nicht dem Euro angehörten, besser gewesen. „Ökonomische Vorteile, die durch Daten und Fakten belegbar wären, hat die gemeinsame Währung in den ersten 13 Jahren ihres Bestehens nicht gebracht“, lautet Sarrazins Urteil. Anmerkung Sarrazin fokussiert sich einseitig auf wenige Wirtschaftsindikatoren. Die Feststellung, dass vor allem die südlichen Länder durch den Euro Nachteile erlitten hätten, führt in die Irre. Unbestritten ist, dass der Euro niedrige Inflationsraten mit sich brachte. Auch der Außenwert der gemeinsamen Währung ist stabil geblieben. Dies hatte natürlich positive Folgen für die Wirtschaftsaktivitäten. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise konnten alle Euroländer zu niedrigen Zinsen Kapital aufnehmen. Auch die Volkswirtschaften der südlichen Eurostaaten entwickelten sich bis 2006 gut. Zuvor hatten es in Europa immer wieder Spekulationen gegen Währungen von EU-Mitgliedsstaaten gegeben. Einig sind sich alle Experten darin, dass die Gemeinschaftswährung Bürgern und Unternehmen hohe Kosten erspart. Die Betriebe müssen sich im Euroraum nicht gegen Währungsschwankungen absichern, bei Reisen fällt der Bargeldumtausch weg. Die Preise lassen sich in der Eurozone außerdem gut miteinander vergleichen. 2. These „Der Maastricht-Vertrag ist eine Schönwetterveranstaltung.“

Bei der EZB-Analyse, legt Sarrazin den Finger in die Wunde

Sarrazin beklagt, dass sich Politik und Zentralbanken über die Grundlagen der europäischen Verträge hinwegsetzen. Zunächst wurde unter deutscher und französischer Regie 2004 der Maastricht-Vertrag ausgehebelt. Die Eurozone verstoße permanent gegen das Prinzip, dass kein Staat für die Schulden eines anderen Landes hafte. Die Europäischen Zentralbank (EZB) betreibe eine monetäre Staatsfinanzierung, was ihr untersagt sei. Anmerkung Mit der kritischen Analyse der EZB legt Sarrazin den Finger in die Wunde. Die EZB ist Teil des Krisenmanagements geworden. Dadurch steigen Risiken. 3. These „Die gemeinsame Währung hat der Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Euroländer geschadet.“

Zum Beleg führt Sarrazin an, dass der Euro den Handel in Europa keineswegs beflügelt habe. Die gemeinsame Währung habe die Integration in der Währungszone behindert, weil die Möglichkeit zur Abwertung fehlt. Der Europäische Binnenmarkt brauche den Euro nicht, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Anmerkung Es ist richtig, dass sich vor allem die südlichen Euroländer zu sehr auf die positiven Effekte der Gemeinschaftswährung verlassen haben. Der Euro versetzte sie in die Lage, sich bei niedrigen Zinsen zu verschulden. Die Regierungen kümmerten sich nicht um die Wettbewerbsfähigkeit. Doch diesen Fehler haben die europäischen Staats- und Regierungschefs erkannt und bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet. Sarrazin bewegt sich mit seiner Meinung, dass Deutschland mit seiner robusten Wirtschaft den Euro nicht braucht, auf dünnem Eis. Der Autor verweist zur Begründung auf das Erfolgsmodell Schweiz. Dabei lässt er außer Acht, dass die Schweizer Unternehmen spüren, welche Nachteile ein aufgewerteter Franken für sie hat. Die deutsche Wirtschaft ist mit dem Euro bisher gut gefahren. 4. These „Wir müssen da weitermachen, wo wir heute stehen.“

Warnung vor vermeintlich einfachen Lösungen

Sarrazin warnt – anders als es sein Buchtitel vermuten lässt – vor vermeintlich einfachen Lösungen. Deutschland müsse sich an die Abmachungen halten und könne Hilfszusagen nicht aufkündigen. Auch die Frage, ob Griechenland aus der Eurozone ausscheiden soll, liege bei den Griechen selbst. Jedes Land solle aber frei sein, zu seiner nationalen Währung zurück zu kehren. Sarrazin plädiert dafür, keine neuen Hilfen mehr zu gewähren. Die Staaten sollten vielmehr mit Reformen ihre Defizite senken. Anmerkung Das ist eine Schwäche des Buches. Es liefert über die Betonung von Grundsätzen hinaus kaum Handlungsanweisungen, was die Politik in der gegenwärtigen Lage unternehmen soll.