Der Popmusiker David Bowie beschenkt sich und uns zu seinem 69. Geburtstag mit einem eleganten neuen Album. Von eingängigen Titeln hat sich der Sänger auf „Blackstar“ allerdings verabschiedet.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ob dem britischen Musiker David Robert Jones wohl der preußische Reitergeneral Hans Joachim von Zieten ein Begriff ist? Das kann schon sein. Denn mit dem gleichen Überraschungsmoment, das dem Militärstrategen vor rund zweihundertfünfzig Jahren die Wendung „wie Zieten aus dem Busch“ einbrachte, agiert der Sänger aus Brixton, der sich selber einst den Namen David Bowie gegeben hat. Vor exakt drei Jahren brachte Bowie, der zuvor zehn Jahre lang nichts veröffentlicht hatte, aus heiterstem Himmel und ohne jegliche Vorwarnung sein letztes Album „The next Day“ heraus. Nun, auf den Tag genau drei Jahre später, erscheint an diesem Freitag sein neues Werk „Blackstar“ – zwar bereits seit Längerem annonciert, aber ohne dass der Inhalt vorab nach draußen gesickert wäre. Selbst den Medien wurde es weltweit erst anderthalb Tage vorab vorgestellt.

 

Den Veröffentlichungstag hat David Bowie in beiden Fällen bewusst gewählt, denn die erste Januarwoche ist gewiss kein idealer Erscheinungstermin, will man zwölf Monate später bei der Wahl zu den Alben des Jahres vorne mit dabei sein. Aber derlei Lorbeer muss Bowie ja auch nicht erringen, er hat bereits genug davon. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit monatelangem Vorlauf, wie viele seiner Berufskollegen sie für nötig erachten, sind sein Ding auch nicht. Auf Interviews verzichtet er seit Jahren, sein Dasein an der Seite des früheren Supermodels Iman Abdulmajid verbringt der Brite hoffentlich nach wie vor gemäß einem früher von ihm geäußerten Bonmot („Ich möchte nicht ernst genommen, sondern dreimal am Tag von meiner Frau genommen werden“).

Im Dezember hat er sich in New York bei der Premiere eines von ihm komponierten Musicals öffentlich gezeigt, ansonsten lebt Bowie reichlich zurückgezogen. Aus finanziellen Gründen ist er gewiss ebenfalls nicht ins Studio gegangen. Mit einem geschätzten Vermögen von rund einer Milliarde Dollar zählt Bowie zu den reichsten Künstlern überhaupt. Dem ermüdenden Musikerritus „neues Album, neue Tournee“ ist er ohnehin längst nicht mehr verpflichtet: Das letzte Konzert liegt zehn Jahre zurück, eine Umbesinnung ist nicht in Sicht. Er glaube nicht, sagt sein Produzent Tony Visconti, dass Bowie überhaupt noch einmal live auftreten werde. Wenn, dann würde das sehr spontan erfolgen.

Bitte festhalten: nächstes Jahr wird er siebzig

Der Moment dafür wäre dann vermutlich der 8. Januar des kommenden Jahres. An jenem Tag wird David Bowie, bitte festhalten, tatsächlich siebzig Jahre alt. An diesem Freitag des Jahres 2016 wird er folglich 69, und das Geburtstagsgeschenk, das er sich punktgenau zur Veröffentlichung selbst gemacht hat, ist ganz schön elegant geraten. Sein Spezi Visconti zeichnet, wie seit Langem, abermals als Produzent verantwortlich. Übrigens handelt es sich um das nunmehr 25. Studioalbum. Als musikalischer Direktor für eine Begleittruppe, die David Bowie dem Vernehmen nach in einem New Yorker Jazzclub gecastet hat, fungiert diesmal der Tenorsaxofonist Donny McCaslin.

Sein Einfluss ist unüberhörbar. Gepflegten Barjazz oder glatte Poparrangements mit Bläsersektion sind aber mitnichten vorhanden. Epische Breite, in Sehnsuchtsferne schwelgende Soundlandschaften finden sich dagegen auf „Blackstar“ schon eher. Und vor allem gebrochene Metrik, immer mal wieder eine unvermutet hineingrätschende Dissonanz – gerade so, als wollte Bowie auf seine alten Tage noch den Indierockschuppen für sich entdecken.

Das will er aber gar nicht, denn die leitende Maßgabe des verschwiegenen Künstlers durfte Tony Visconti immerhin rapportieren. „Das Ziel war, Rock ’n’ Roll unbedingt zu vermeiden“, erklärte er im amerikanischen Musikmagazin „Rolling Stone“. Das hat geklappt. Zu hören gibt es ein außerordentlich stringent durchkomponiertes Album, das ein wenig zu handzahm im zeitgenössischen Jazz wildert, eine angemessene Prise Pop mit sich führt, vor allem aber deutlich zeitgenössische Strömungen der Alternativemusik adaptiert, dabei jedoch stets den großen Bogen sucht. David Bowies wehend-flehender Gesang (mehr denn je barmt der Meister) fügt sich prächtig dazu und krönt dieses ganz hervorragende Album.

Klug und altersweise

Was es nicht zu hören gibt, sind allerdings eingängige Poprhythmen à la „Let’s dance“ oder „Space Oddity“, von Rocksongs wie „Ziggy Stardust“ natürlich – wie angekündigt – ganz zu schweigen. David Bowie biegt mit diesem Album klug und altersweise auf einen abermals neuen Weg seines Schaffens ein, und wie so vieles in seinem künstlerischen Leben steht ihm auch das ziemlich gut.

Bowie präsentiert den zehnminütigen Eröffnungstrack „Blackstar“, der bereits die Marschroute vorgibt, über die sich Freunde der Musik im Dunstkreis zwischen Radiohead und Portishead, zwischen verschachteltem Schlagzeugbeat und eleganter Strophenführung, zwischen TV on the Radio und Massive Attack, freuen dürften. Er serviert uns im vorzüglichen „Lazarus“, dem titelgebenden Song des erwähnten Musicals irgendwo auf den Spuren alter The-Cure-Songs, eine Botschaft, leicht verrätselt, wie so einiges auf diesem durchaus fordernden Album. Freunde eingängiger Popmusik allerdings wird es ein wenig enttäuscht zurücklassen.

David Bowie schlägt nach dem ordentlichen, aber doch ein wenig arglosen Vorgängeralbum mit Songs wie „Sue (or in a Season of Crime)“ auf dieser lediglich sieben Titel bei nur vierzig Minuten Spielzeit enthaltenden CD einen offbeatgeschwängerten, durchaus fordernden Duktus an. Sein eigenes erratisches Sängerimage, das des stilsicheren Crooners, scheint er – etwa in „Girl loves me“ – in einer suchenden Art fast schon zurücknehmen zu wollen.

Das Fazit gerät folglich schwer und leicht zugleich. David Bowie legt ein gereiftes Werk vor, das man gerne auf der Dachterrasse eines New Yorker Lofts hören würde. Er legt eine CD vor, mit der man ihn liebend gern auf einer neuen Stadiontournee erleben würde. Und er hat umgekehrt auch ein fast schon jazziges Album aufgenommen, das man am liebsten in einem kleinen verrauchten Kellerclub genießen würde. Es wird also definitiv eines der Alben sein, die in elf Monaten bei der Wahl der besten Werke des Jahres vorn mitspielen. Denn was er auch macht: David Bowie bleibt ein ganz schön einmaliger Künstler.