Volkmar Denner findet, dass es an den Unis zu viel um Theorie geht und zu wenig um Unternehmertum. Stimmt, sagt Kanzlerin Angela Merkel – und kritisiert das Starren auf Datensicherheit.

Renningen - Auch an Feier-Tagen bleibt Bosch-Chef Volkmar Denner bei seiner eher nachdenklichen Grundhaltung; Jubelposen liegen ihm nicht. Und deshalb hat der 58-Jährige das große öffentliche Interesse an der Eröffnung des 310 Millionen Euro teuren neuen Forschungszentrums in Renningen genutzt, um auf ein Defizit hinzuweisen. „Wir brauchen mehr Unternehmergeist, mehr Gründergeist“, sagte Denner noch vor der offiziellen Eröffnung bei einer Pressekonferenz. Später, als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Winfried Kretschmann anwesend waren, wiederholte der Bosch-Chef sein Monitum: „Wir müssen noch schneller und risikobereiter sein als bisher. Ich könnte auch sagen: Unsere Entwickler müssen früher denn je unternehmerisch denken.“ Bosch will dazu mit der gegründeten eigenen Start-up-Plattform einen Beitrag leisten, aber vor allem sieht er die Universitäten in der Pflicht: „Wir müssen mehr Unternehmergeist in die deutsche Hochschulbildung tragen, das ist mein Anliegen.“

 

Aus Denners Sicht fehlt es in Europa sowohl an Wagniskapital („Wir haben keine entsprechende Szene“), als auch an Wagemut. Er zieht den Vergleich zu den USA, die mit ihrem Gründer-Mekka Silicon Valley weltweit bewundert werden. Nur 25 Prozent der Deutschen, so sagt Denner, könnten sich eine Firmengründung vorstellen, in den USA immerhin 40 Prozent. Als Hinderungsgrund nennen danach 80 Prozent der Deutschen die Angst vor dem Scheitern, in den USA nur 30 Prozent. Geht es nach dem Bosch-Chef, dann werden die Unis künftig nicht nur eine hochspezialisierte Examensvorbereitung liefern, sondern die technischen Studiengänge mit der Entwicklung von Geschäftsmodellen verbinden. Denner: „Wir müssen das Wagen lernen.“

Das KIT in Karlsruhe ist das Vorbild

Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Kretschmann dankten Denner für den Hinweis auf die Hochschulen und gaben ihm mit Verweis auf das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das aus ihrer Sicht Vorbildcharakter hat, recht; das KIT ist 2009 aus dem Zusammenschluss der Uni Karlsruhe und des (Kern-)Forschungszentrums Karlsruhe hervorgegangen. „Uns fehlt ab und an der unternehmerische Geist“, sagte die Bundeskanzlerin, ließ aber offen, was daraus folgt. Mit dem Bosch-Chef war sich die Kanzlerin einig, dass das sogenannte Internet der Dinge die Welt verändern wird: Geräte und Maschinen, die mit Hilfe von Sensoren Daten sammeln sowie austauschen und so in ihren Aktivitäten gesteuert werden. Dabei stört sie eines: „Unser Verhältnis zu Daten ist zu stark vom Gedanken an Sicherheit geprägt. Sie vermisst den Blick auf die Chancen, die der Umgang mit Daten bieten könne.

Kretschmann präsentierte sich als stolzer Landesvater, der froh ist, in seinem Herrschaftsbereich ein Unternehmen wie Bosch zu haben. Der Grüne sprach im Zusammenhang mit dem Forschungscampus, von einem Flaggschiff der Innovation und ließ es sich nicht nehmen, die Fakten abzuspulen, die Baden-Württemberg in Sachen Innovation einen Spitzenplatz sichern.

Ziel ist das kreative Miteinander

Denner bezeichnete Renningen mit Blick auf die kalifornische Eliteuniversität als das Stanford von Bosch. Hier, so sagte er, seien wie bei einer Uni auf dem Gelände viele Fakultäten vereint, hier könnten sich Ingenieure und Wissenschaftler aller Disziplinen austauschen; das Ziel: ein kreatives Miteinander. Was die Forscher bereits ausgetüftelt haben, bekamen die Gäste in Form von Beispielen zu sehen: einen Wagen mit Autopilot, der über den Parkplatz und zurück fährt und einen Agrarroboter („Bonirob“), der sich der Unkrautvernichtung widmet. Der Agrarroboter kommt aus einem der drei bestehenden Start-ups der Plattform von Bosch. In Renningen arbeiten in 14 Gebäuden 1200 Bosch-Ingenieure und -Naturwissenschaftler; hinzu kommen 500 Master-Studenten und Doktoranden. Sie haben bisher an den Standorten Gerlingen, Schwieberdingen und Waiblingen gearbeitet. Nun ist Renningen die Zentrale eines Bereichs, der bei Bosch Forschung und Vorausentwicklung heißt.

Ein Gelände mit viel Geschichte

Vergangenheit Das neue Forschungszentrum von Bosch in Renningen ist ein Projekt, das Hürden nehmen musste. Bereits 2007 begannen die Verhandlungen, an denen die Bundeswehr, das Land Baden-Württemberg und der Zulieferer beteiligt waren. Zwei Jahre hat es gedauert bis der Kompromiss endlich gefunden war – Unterzeichner des Eckpunktepapiers waren der frühere Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung, Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger und der damalige Bosch-Chef Franz Fehrenbach. Doch bis zum Beginn des Aushubs im Frühjahr 2012 sollte noch einige Zeit verstreichen – bis das Genehmigungsverfahren abgeschlossen und die Altlasten auf dem alten Bundeswehrgelände abgetragen waren. Bosch hat sein Forschungszentrum an einem geschichtsträchtigen Ort errichtet.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war es dort, wo nun künftig Forscher und Entwickler tüfteln werden, sehr idyllisch. Das rund 100 Hektar große Grundstück, das Bosch sein Eigen nennt, war teils bewaldet, teils befanden sich darauf Streuobstwiesen. Doch Ende 1936 war diese Idylle Vergangenheit. Die Landwirte wurden von der Reichsluftwaffe enteignet, eine Start- und Landebahn wurde gebaut. Auf dem Gelände waren eine Bomberstaffel und Aufklärungsflugzeuge stationiert. Später dann dienten die Gebäude als Auffanglager für Kriegsgefangene aus Polen, Frankreich und Serbien, die in landwirtschaftlichen Betrieben in der Umgebung arbeiten mussten. Das ist in einer Dokumentation von Bosch zum Standort nachzulesen. Nach dem Krieg besetzten zunächst französische und amerikanische Truppen das Gelände, es wurde als Flüchtlingslager etwa für Vertriebene aus Osteuropa genutzt und auch als Durchgangslager für Heimkehrer aus englischer und französischer Kriegsgefangenschaft.

Gegen heftigen Widerstand der örtlichen Bevölkerung übernahm die Bundeswehr Mitte der 1950er Jahre das Grundstück. Sie ließ dort weiterhin US-Streitkräfte üben. Mit Beginn des Vietnamkrieges erfolgte dort Anfang der 1960er Jahre die Ausbildung von Hubschrauberpiloten bei Tag und Nacht – der Unmut in der Bevölkerung war groß. Im Frühsommer 1963 besetzten mehr als 1000 Renninger und Malmsheimer Bürger den Flugplatz. Leise war es dort sicherlich nicht; zeitweise war dort der Such- und Rettungsdienst der Bundeswehr einsatzbereit stationiert.

Jetzt ist also Bosch dort. Der Konzern nutzt zunächst nur einen Teil des Geländes. Der Vertrag sieht vor, dass das Militär bis 2029 Fallschirm-Sprungübungen durchführen kann. Auch der örtliche Sportfliegerverein nutzt noch einen Teil des Geländes. Auch wenn viele in der Region die Pläne des weltgrößten Zulieferers unterstützt haben, ganz ohne Nebenwirkungen sind sie nicht. Erste Auswirkungen sind bereits in den gestiegenen Grundstückspreisen zu sehen. Zudem hat der Verkehr auf den Straßen drastisch zugenommen.