Jeder soll sich einmal im Leben überlegen, ober er Organspender sein will oder nicht. Das will das neue Gesetz. Es könnte es Angehörigen leichter machen.

Berlin - Wenn der Tod kommt, ist es zu spät. Was zu besprechen ist, muss vorher geklärt werden – auch die Bereitschaft zur Organspende. „Die Organspende ist in unserer Gesellschaft eigentlich ein Tabu“, sagt Jörg Kalff, leitender Chirurgieprofessor am Uniklinikum Bonn. Solange dies so bleibt, werden auch weiterhin sehr viel weniger Nieren, Herzen, Lungen oder Lebern gespendet werden, als es potenzielle Empfänger gibt. „Wären Spenderorgane keine Mangelware, bräuchten wir gar kein Transplantationsgesetz“, sagt der Jurist Torsten Verrel, Direktor des Kriminologischen Seminars der Universität Bonn und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer.

 

Allein in Deutschland brauchen etwa 8000 Menschen eine neue Niere. In der Regel müssen schwerst Nierenkranke fünf bis sechs Jahre auf eine Transplantation warten. Bei nötigen Herz- oder Lungentransplantationen hingegen ist kein langer Aufschub möglich. „Wenn diese Menschen nicht schnell ein Spenderorgan bekommen, müssen sie sterben“, sagt der Transplantationsexperte Kalff.

Alle Parteien sind sich einig über Gesetzesinitiative

In einer parteiübergreifenden Initiative soll nun das Transplantationsgesetz (TPG) geändert werden. Gestern haben sich Vertreter aller Parteien bei der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag für die Neuregelung der Organspende ausgesprochen. Danach sollen alle Krankenversicherten ab dem 16. Lebensjahr erstmals 2012 und dann regelmäßig erneut nach ihrer Bereitschaft zur Organspende gefragt werden („Entscheidungslösung“). Torsten Verrel sieht in der Neuerung einen „Erfolg versprechenden Beitrag des Gesetzgebers zu der in Deutschland dringend erforderlichen Steigerung der Organspendezahlen“. Es komme allerdings „jetzt darauf an, die Bevölkerung in ganzer Breite, nachhaltig und mit größtmöglicher Transparenz über das Thema Organspende zu informieren, um vorhandene Vorbehalte abzubauen“. Außerdem müssten „in den Spendenkrankenhäusern die personellen und logistischen Voraussetzungen für mehr Organspenden geschaffen werden“. Bislang schreiben nur in den acht Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein Ausführungsgesetze vor, dass Kliniken mit neurologischen Intensivstationen Transplantationsbeauftragte bestimmen. Deren Aufgabe ist es, Angehörige im Todesfall danach zu fragen, ob der Verstorbene einen Organspendeausweis hat oder ob er sich dahin gehend geäußert hat. Das ist nachvollziehbarerweise eine „oft als unzumutbar empfundene Situation“ für alle Beteiligten, sagt der Transplantationsmediziner Eckhard Nagel vom Klinikum Essen. Die neue Situation, in der sich potenzielle Organspender nun erklären sollen, könnte diese Gespräche einfacher machen. Das Gesetz sieht vor, dass alle Kliniken mit intensivmedizinischen Abteilungen die Stelle eines Transplantationsbeauftragten einrichten müssen, der die Angehörigengespräche mit der notwendigen Sensibilität führt.

Das Gespräch mit den Angehörigen ist schwierig

In der „erweiterten Zustimmungslösung“ liegt die Schwachstelle des bisherigen Gesetzes. Liegt kein Organspendepass vor, dürfen die Ärzte die nächsten Angehörigen nach der Hirntoddiagnose fragen, ob sie einer Entnahme zustimmen. Dabei sind die Ehegatten, ständigen Lebenspartner oder engsten Verwandten gehalten, im Sinne des Toten zu entscheiden. Im Gesetz heißt es dazu: „Der nächste Angehörige hat bei seiner Entscheidung einen mutmaßlichen Willen des möglichen Organ- oder Gewebespenders zu beachten.“ Doch genau hier liegt das Problem. Sehr oft hat sich der Betreffende zu Lebzeiten nicht oder nicht eindeutig zur Organspende geäußert. Und der Zeitdruck ist meist groß, da der am besten geeignete Empfänger des Organs, ausgewählt von der Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden, von Chirurgen auf die Einpflanzung vorbereitet werden und das Organ auch noch rechtzeitig an den Ort der Transplantation gebracht werden muss. Die Überlebensdauer eines Organs außerhalb des menschlichen Körpers bewegt sich zwischen vier Stunden beim Herzen und über 20 Stunden bei der Niere. Wenig Zeit, um Gewissensentscheidungen zu treffen. Im Zweifel lehnten die Angehörigen die Entnahme unter diesen Umständen ab. Besonders dann, wenn sie sich uneins sind, ob der Verstorbene wohl zur Spende bereit gewesen wäre oder nicht. „Das bringt dann viel Spannung in die Familie hinein“, hat Jörg Kalff erfahren müssen.

Keine Entscheidung im stillen Kämmerlein

Genau hier setzt seine Hoffnung an, die Entscheidungslösung möge das Beinahetabu aufbrechen. Es habe „keinen Sinn“, sich „im stillen Kämmerlein“ für oder gegen die Organspende zu entscheiden. Viel besser sei es, so Kalff, die Frage gemeinsam und rechtzeitig mit der Familie zu diskutieren und zum Beispiel dem Lebenspartner, älteren Kindern oder den Geschwistern gegenüber unmissverständlich zu sagen: „Wenn mein Tod medizinisch feststeht, will ich, dass alle meine geeigneten Organe und Gewebe möglichst noch das Leben anderer Menschen retten sollen.“ Da mangels ausgefüllter Organspendeausweise laut Deutscher Stiftung für Organspende „in neun von zehn Todesfällen“ die Angehörigen gefragt werden müssen, schlummert hier ein gewaltiges Potenzial an möglichen Spenderorganen.