Neue Wohnformen für Senioren ermöglichen einen Alltag, der weitgehend selbstbestimmt ist. Wenn Pflegeplätze neu geplant werden, hat das Heim ausgedient.

Ditzingen - Nicht schon wieder!“ entfuhr es Bernhard Arzt am Montagabend im Ditzinger Ratssaal. Falko Piest hatte im Ausschuss für Finanzen, Kultur und Soziales gerade begonnen, das Konzept der neuen Pflegeeinrichtung in Heimerdingen vorzustellen. Der Geschäftsführer des zur Heidehof-Stiftung gehörenden Altenhilfezentrums Gerlingen bezog die Aussage zunächst zwar auf sich, hatte er doch den Vortrag bereits im Ortschaftsrat gehalten. Aber wie der Stadtrat und Heimerdinger Ortschaftsrat später unter Gelächter seiner Ratskollegen aufklärte, hatte er damit eine Bemerkung seines Hirschlander Sitznachbarn kommentiert. Der hatte geraunt, Heimerdingen bekomme immer das beste. Er war nicht der erste gewesen, der Arzt neidvoll-scherzhaft auf das Projekt ansprach.

 

Landesweit einmalig

Tatsächlich entsteht in Heimerdingen eine landesweit einmalige Einrichtung. Sie bietet ambulant alles an, was bisher nur ein stationäres Pflegeheim leisten kann: Betreuung rund um die Uhr in Wohngemeinschaften; Pflegewohnen in Apartments, in denen tatsächlich Menschen leben, die die Pflege – anders als im Betreuten Wohnen – auch jederzeit in Anspruch nehmen. Zudem soll es eine Tagespflege geben, die an sieben Tagen geöffnet ist, sowie ein Café, das einen Mittagstisch anbietet. Zudem entstehen 24 Wohnungen. Sie sollen bezahlbaren Wohnraum für alle, Alleinstehende wie Familien, schaffen.

Laut dem Geschäftsführer der Heidehof-Stiftung, Michael Brenner, investiert die Stiftung in Heimerdingen rund zehn Millionen Euro. Er und Piest stellten das Konzept am Montag gemeinsam vor. Der Ausschuss empfahl es einmütig dem Gemeinderat. Dieser muss es beschließen.

Die Ausgangsfrage war, wie die meisten Menschen im Alter leben wollen. Es sei eine unstrittige Tatsache, dass die meisten das Leben zuhause der Unterbringung in einem Pflegeheim vorziehen, so Piest. Doch sind die Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt und die Wohnung nicht barrierefrei oder sind sie kognitiv eingeschränkt, haben also etwa Demenz, dann verlassen sie deshalb ihre Wohnung nicht mehr. Oft vereinsamen sie.

Mobilitätseinschränkung, eingeschränkte Alltagskompetenz und Vereinsamung seien die Hauptaspekte für einen Umzug ins Heim. Bisher seien Pflegeheime die einzige Alternative zur ambulanten Versorgung zuhause gewesen, sagt Brenner. Doch nach einer Gesetzesänderung im Mai 2014 sind neue Konzepte möglich. Sie lassen nicht nur eine individuellere Versorgung im Alter zu. Die kleinen Einheiten bewahren die Träger auch vor einem Leerstand, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge in 30, 40 Jahren ins Alter kommen. Vor diesem Hintergrund werde kreisweit kaum mehr über neue Pflegeheime nachgedacht. „In Erligheim wird noch ein kleines geplant, sonst keines mehr“, sagt Brenner. Er legte den Fokus der Diskussion aber nicht nur auf die ambulante Pflege. Diese sei durch etliche Anbieter gewährleistet. „Wir haben kein Pflege-, wir haben ein Wohnproblem“, präzisierte er. Auch Plätze für die Kurzzeitpflege werden in dem Gebäudeensemble bei der katholischen Kirche nicht geschaffen. „Es gibt noch 35 Plätze im Landkreis, davon ein Drittel in Gerlingen und Hirschlanden.“ Die Not sei groß, sagt Brenner. „Aber das Problem lösen wir in Heimerdingen nicht.“

Eine Gesetzesänderung macht es möglich

Das Heimerdinger Projekt sei als „eine Ergänzung in der Versorgung“ zu sehen, sagt Piest. Ihre stationären Pflegeheime in Hirschlanden und Gerlingen wird die Heidehof-Stiftung daher bisher jedenfalls nicht aufgeben, wie Brenner sagte. „Es ist nichts geplant, aber wir schließen nichts aus.“ Sehr lange sei an den stationären Einrichtungen festgehalten worden, so Brenner. „Das verwundert insofern, als dass im Bereich der Behindertenhilfe und der Psychiatrie schon vor Jahrzehnten Alternativen zur institutionellen Versorgung in Großeinrichtungen entwickelt wurden“, heißt es in einem Diskussionspapier, das Brenner und Piest den Stadträten vorgelegt hatten. Und sie regen eine Debatte an: Man könne daraus „einen Rückschluss auf den Stellenwert älterer, pflegebedürftiger Menschen in unserer Gesellschaft wagen“.