Die Tälesbahn dient als Teststrecke für ein neues Sicherungssystem. Die Technik soll einmal einen grenzüberschreitenden europäischen Schienenverkehr möglich machen.

Neuffen - Die Zukunft des europäischen Zugverkehrs rollt derzeit auf der Tälesbahn zwischen Nürtingen und Neuffen. Die Thales Deutschland, ein weltweit operierender Anbieter von Kommunikations-, Informations- und Steuerungssystemen, erprobt auf der von der Württembergischen Eisenbahn-Gesellschaft (WEG) betriebenen Nebenstrecke ein neues Zugsicherungssystem. Das ETCS (European Train Control System) soll künftig Signalanlagen überflüssig machen, eine bessere Auslastung von Strecken ermöglichen und vor allem aber für einen barrierefreien Schienenverkehr über Nationalgrenzen hinweg sorgen.

 

Derzeit hat beinahe jeder Staat in Europa sein historisch gewachsenes, eigenes Sicherungssystem, auf das der Zugführer bei grenzüberschreitenden Fahrten jeweils von Hand umstellen muss. „Technisch soll es künftig diese Hindernisse nicht mehr geben“, umschreibt Christian Wallner, der zuständige Thales-Produktmanager, die Vision, an der im Neuffener Tal derzeit gearbeitet wird.

Ein Jahr lang Fahrten im Auftrag der Wissenschaft

Das Computersystem, das diese Vision verwirklichen soll, sitzt auf dem Klo, auf der Zugtoilette von Agnes. Agnes, so haben die WEG-Mitarbeiter den Triebwagen getauft, der seit zwölf Jahren die gut elf Kilometer lange Strecke zwischen Nürtingen und Neuffen bedient.

Mit der mehr als 100 000 Euro teuren Messanlage an Bord fährt Agnes ein Jahr lang im Auftrag der Wissenschaft einen rund acht Kilometer langen Streckenabschnitt im Neuffener Tal auf und ab. Ein Mal im Monat, im Nachteinsatz, testen die Thales-Mitarbeiter, ob und wie die Kommunikation mit den Balisen funktioniert. So werden die 30 entlang der Strecke installierte Messeinheiten genannt, die ständig Informationen über Geschwindigkeit, Standort, Streckenprofil und Verkehr auf der Strecke erfassen und an das Fahrzeug melden. „Allein, um die Geschwindigkeit eines Zuges exakt zu ermitteln, ist ein riesiger Aufwand nötig“, sagt Wallner. Wegimpulsgeber, Dopplerradare, optische Messsysteme und Beschleunigungsmesser – entlang der Strecke ist alles eingebaut, was gut und teuer ist. Denn anders als beim Auto gehören durchdrehende – beim Beschleunigen – oder blockierende – beim Bremsen – Räder auf der Schiene zum Alltag. „Wenn wir da bei der Ortsbestimmung nur um 20 Meter daneben liegen, kann das an einem Bahnübergang oder einem Signal fatale Folge haben“, sagt Wallner.

Die Technik könnte Signale an der Strecke entbehrlich machen

Die Tälesbahn hat sich als Teststrecke angeboten, weil sie unweit der Thales-Deutschlandzentrale in Stuttgart liegt und weil an Wochenenden und in der Nacht keine Züge im Neuffener Tal unterwegs sind. Der WEG-Geschäftsführer, Horst Windeisen, hat die Teststrecke den Thales-Tüftlern gerne zur Verfügung gestellt. „Die Toilette benötigen wir bei einer Fahrzeit von insgesamt 15 Minuten sowieso nicht“, sagt er. Zudem sei die erprobte Technik auch für Regionalbahnen interessant, weil sie künftig alle Signale entlang der Strecke entbehrlich machen könnte.

Thales seinerseits schaut schon über den begrenzten europäischen Markt hinaus. „In Saudi-Arabien und Südafrika werden derzeit tausende Kilometer Schiene für den Güterverkehr in die Wüste gelegt. Da möchten wir als Systemanbieter zum Zug kommen“, sagt Wallner.