Es sind erschütternde Geschichten, die die gerade eingetroffenen Flüchtlinge in den Nebenhallen der Schleyerhalle erzählen. Richtig heimisch wird keiner von ihnen in den Notunterkünften werden. Doch die Helfer kümmern sich aufopfernd um sie.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Es ist Viertel nach eins, als der blaue Reisebus hinter der Schleyerhalle erscheint. Doch dann, wenige hundert Meter vor dem Ziel, verliert der Busfahrer kurz die Orientierung. Statt die Einfahrt zur Schleyerhalle einzuschlagen, biegt er in den Weg zur städtischen Flüchtlingsunterkunft ein, die auf der anderen Seite der Benz-Straße liegt. Sogleich springt eine Handvoll Serviceleute in roten Polohemden über die Straße und weist dem Fahrer den richtigen Weg.

 

Wenige Minuten später ist es so weit: Die ersten 50 Asylbewerber, die erst vor wenigen Tagen in Deutschland angekommen sind, entsteigen dem Bus mit dem Karlsruher Kennzeichen. Es sind zumeist noch recht junge Männer, sie stammen aus Syrien, Pakistan, Indien und einige wenige aus Albanien. Nur eine Frau ist darunter, sie trägt einen blauen Sari und hat einen Bindi, einen roten Punkt, auf der Stirn.

Die meisten haben nur eine Plastiktüte

Die Neuankömmlinge wirken unsicher. Nach und nach holen sie ihre wenigen Habseligkeiten aus dem Bauch des Busses, einige wenige Koffer sind darunter, die meisten aber tragen nur eine Plastiktüte bei sich. Dann heißt es vor dem Eingang der Nebengebäude an der Schleyerhalle erst einmal Schlange stehen. „Follow me“, ruft ein Mitarbeiter der Freiburger Firma Campanet, die sich um die Flüchtlinge kümmert.

In der ersten der beiden Hallen ist alles vorbereitet: ein Berg von Schlafsäcken, zahlreiche Kartons mit Handtüchern, Zahnbürsten und Zahnpasta und anderen Hygieneartikeln warten darauf, abgeholt zu werden. Doch erst einmal bildet sich an einem Tisch direkt neben dem Eingang eine Traube von Menschen, die Neuankömmlinge bekommen eine Art Ausweis für die nächsten Tage.

Heimisch wird hier niemand werden

Maximal zwei Wochen sollen sie in dem Interimsquartier bleiben, weil die anderen Landeserstaufnahmestellen vor allem an den Wochenende heillos überbelegt sind. Der erste Bus kam aus der Landeseinrichtung in Heidelberg, am Nachmittag sollen zwei weitere folgen. Bis am Sonntagabend sollen es insgesamt 500 sein. Bevor das erste Heimspiel des VfB in der neuen Bundesligasaison am Sonntagabend im Stadion nebenan beginnt, sollen sie hier sein.

Nach der ersten Unsicherheit tauen die jungen Flüchtlinge langsam auf. Erst greifen sie nur zaghaft nach den Plastikbechern mit Mineralwasser und Apfelschorle, die auf zwei Servierwagen stehen. Auch die Bananen, die in einem großen Korb angeboten werden, bleiben einige Zeit kaum angerührt, doch das ändert schon bald.

25 Tage für die Reise von Syrien nach Deutschland

Ein Mitarbeiter der in der Flüchtlingsbetreuung erfahrenen Freiburger Firma spricht Arabisch. Er informiert eine Gruppe junger Syrer, die um ihn herum steht, in ihrer Landessprache. Darunter ist Osama. Er hat in dem Bürgerkriegsland Frau und Kind zurückgelassen. Der 32-Jährige, der recht gut Englisch spricht, zeigt auf ein blondes Mädchen im Display seines Handys. „Es wäre mein Traum, wenn ich sie auch hierher bringen könnte“, sagt der junge Mann, der wie die meisten anderen Jeans und Flip-Flops trägt. 25 Tage habe er gebraucht von Syrien nach Deutschland, erzählt Osama. Jetzt sei er froh, hier zu sein. „In Syrien gibt es keine Sicherheit für Leib und Leben.“ Und anders als in seiner Heimat, wo er nur von Zeit zu Zeit irgendwelche Gelegenheitsjobs hatte, hofft er nun, hier auch bald Arbeit zu finden.

Ein paar Tische weiter sitzt der 23 Jahre alte Abu Bakr im Kreise von drei Mitreisenden, vor ihnen liegen ein paar leere Bananenschalen. „Hier ist mein Leben sicher“, sagt der Pakistaner. So ganz genau ist nicht herauszubekommen, was den jungen Mann bewogen hat, seine Heimat zu verlassen und sich auf die 23 Tage dauernde Flucht zu begeben. Die Ursache sei „Streit um Land“ gewesen, dem schon sein Großvater, sein Vater und sein Cousin zum Opfer gefallen seien.

Caterer übernimmt die Versorgung der Flüchtlinge

Unterdessen läuft in den Hallen der Versorgungsbetrieb an. Die ersten Flüchtlinge habe die doppelstöckigen Feldbetten bezogen. 20 Mitarbeiter der Stuttgarter Cateringfirma Robin Cook, die sonst 550 Schulen und Kitas mit Essen beliefert, bereiten das Abendessen vor. Es gibt Fladenbrot, Mozzarella, Wurst, Käse mit Gurken und Tomaten. Der Sicherheitsdienst XXL, der die Hallen an der Mercedesstraße schon von anderen Einsätzen kennt, ist mit zehn Personen im Einsatz. DRK und Johanniter wechseln sich ab und sind rund um die Uhr mit einem Krankenwagen vor Ort.

Regierungsvizepräsident Christian Schneider, dessen Behörde für die kurzfristige Unterbringung zuständig ist, hat den ersten Flüchtlingsbus selbst in Empfang genommen. „Trotz größter Anstrengungen schaffen wir es gegenwärtig nicht, in den Erstaufnahmestellen des Landes hinreichen Schlafplätze zur Verfügung zu stellen“, räumt er ein. Nicht 500, wie bisher gemeldet, sondern 600 bis 700 neue Flüchtlinge kommen zurzeit jeden Tag ins Land. „Die weltweiten Flüchtlingsströme haben in einem Maße zugenommen, wie wir uns das nicht vorstellen konnten“, sagt Schneider. „Wir werden mit Zugängen überrannt.“ Dennoch ist er überzeugt, dass Bund und Land den Zustrom bewältigen können. Aber man müsse alle Ressourcen bündeln und Solidarität zeigen auf allen politischen Ebenen. Für den Vizeregierungspräsidenten ist klar: „Wenn wir als reiches Land dieser humanitären Verantwortung nicht gerecht werden, ist das ein Armutszeugnis.