Bürokraten spielten im NS-Verfolgungsapparat eine wichtige Rolle – ob sie nun ideologisch gefestigt waren oder nur der vermeintlichen Sachlogik folgten. Wie es sich in Baden und Württemberg verhielt, dazu hat die Landesregierung ein Projekt angeregt. Und viele sollen mitmachen.

Stuttgart - Wollte man sich den engagierten, selbst denkenden Beamten vorstellen, dann vielleicht so: „Ich sehe es als das Wichtigste an, dass wir Persönlichkeiten entwickeln, die sich an Aufgaben schulen, die sich an Aufgaben erproben, und nicht den sturen, stupiden Verwaltungsbeamten.“ Klingt gut. Solche Staatsdiener werden gebraucht: Leute, die mitdenken und in der Lage sind, Eigeninitiative zu entwickeln. Dumm nur, dass das Zitat von Heinrich Himmler stammt, entnommen einer Rede, die der nationalsozialistische Reichsinnenminister vor Oberbürgermeistern in Posen hielt.

 

Der Stuttgarter Zeithistoriker Wolfram Pyta und dessen Mitarbeiter gruben die Rede aus den Tiefen der Archive aus, bei der Auftaktveranstaltung des Forschungsprojekts „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ stellte er das Fundstück vor. Der NS-Staat wollte, sagte Pyta, die Verwaltung ideologisieren. Er verlangte nach Weltanschauungskämpfern, nicht nach unpolitischen Staatsdienern.

Ideologisierte Beamte

Dass er die auch bekam, demonstrierte Pyta mittels württembergischer Karrierebeamter, welche die „Verschmelzung von unaufgeregtem Verwaltungshandeln mit der Verwirklichung ideologischer Kernziele“ repräsentierten. Einer von ihnen war Karl Waldmann, der aus dem Verwaltungsdienst kam und schon im Oktober 1925 Mitglied der NSDAP wurde. Er brachte es bis zum Leiter des württembergischen Finanzministeriums – Minister sollten in den gleichgeschalteten Ländern nicht mehr ernannt werden.

Aber waren ideologisierte Beamte damals die Regel oder die Ausnahme? Und wenn sie die Ausnahme waren und die unpolitischen Bürokraten die Regel, weshalb funktionierte der NS-Staat dennoch so vorzüglich? Denn das tat er, wie die Erfurter Professorin Christiane Kuller hervorhob. Dass das NS-Regime bis in die letzten Tage seiner Existenz handlungsfähig blieb, sei auch dem Beamtenapparat geschuldet gewesen, der seine Arbeit getan habe und „ein Stück Normalität aufrecht erhielt – oder vorspiegelte“. Kuller wandte sich dezidiert dagegen, die NS-Herrschaft mit dem Polykratie-Modell zu beschreiben, das eine Vielzahl konkurrierender Machtzentren am Werk sah. Der NS-Staat sei nicht an seinen inneren Konflikten zerbrochen: „Konvergenz und Kooperation waren die vorherrschenden Modi des Verwaltungshandelns im Dritten Reich.“

Von wegen liberaler als im Reich

Wie aber verhielt es in den beiden Vorgängerstaaten Baden-Württembergs während der NS-Zeit? Der Heidelberger Zeithistoriker Edgar Wolfrum, der zuletzt als Chronist und Interpret der rot-grünen Bundesregierung 1998 - 2005 hervorgetreten ist, erinnerte an das historische Sonderbewusstsein Südwestdeutschlands, das sich schon – in Württemberg deutlich ausgeprägter als in Baden – gegen Preußen gerichtet habe. Irgendwie, so skizziert Wolfrum das Selbstbild der Badener und Württemberger, sei man doch moderater gewesen, nicht ganz so fanatisch, ein bisschen weniger herzlos, eben demokratisch (in Württemberg) und liberal (in Baden) geprägt. Man glaubte schlussfolgern zu können: „Die Bürokratie hat nach ihren eigenen Regeln der Sachdienlichkeit weitergearbeitet.“ Ob das tatsächlich so war ? Auch Wolfrum setzte ein dickes Fragezeichen.

Mit dem Projekt zur NS-Geschichte der Landesministerien will die Landesregierung einen Beitrag leisten zur Aufklärung des – so Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), „verstörenden Rätsels“, wie es nach der Machtergreifung passieren konnte, dass sich die Eliten so willfährig und vorbehaltlos in den Dienst der Diktatur stellten. Es erhebe sich die Frage: „Welchen Anteil hatte die Bürokratie an der totalitären Herrschaft?“

Zu der Auftaktveranstaltung waren zahlreiche Vertreter einer „historischen Öffentlichkeit“ gekommen: Archivare, Abgesandte von Bildungseinrichtungen und Geschichtsvereinen. Das Projekt, das war auch der Wunsch der Ministerin, „soll unterschiedliche Beteiligte in unterschiedlichen Formaten an der Rekonstruktion historischen Wissens beteiligen.“ Professor Pyta hofft auf Fundstücke aus privater Hand: Briefe, Tagebücher, Selbstzeugnisse mannigfacher Art, die Einblick in die Mentalitäten und Prägungen der damaligen Beamten bieten. Auch ein Online-Portal soll eingerichtet werden. Bauer nannte es „wichtig, den Austausch mit einer breiten, auch nicht akademischen Öffentlichkeit zu suchen“.