Der NSU-Ausschuss wirft dem Stuttgarter Innenministerium vor, die Vertraulichkeit des Gremiums verletzt zu haben. So wurde ein Polizeibeamter mit einem Disziplinarverfahren überzogen. Nun hat der Ausschuss Konsequenzen gezogen.
Stuttgart - Der NSU-Ausschuss zieht die Notbremse: Die Regierungsvertreter im Untersuchungsausschuss werden fortan von den Akten und Beratungen des Gremiums ferngehalten, so es um Zuschriften und Hinweise aus der Bevölkerung geht. Das hat der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler am Montag mitgeteilt. Der Beschluss sei einstimmig gefallen, sagte der SPD-Politiker.
Vorausgegangen war ein Konflikt zwischen Drexler und Innenminister Reinhold Gall (ebenfalls SPD). Dabei ging es um die Mail eines Polizisten, die dieser an Drexler über dessen Wahlkreisaccount geschickt hatte. Darin stellte der Beamte in zugespitzter Form die Ermittlungskompetenz und den Aufklärungswillen von Polizei und Verfassungsschutz in Frage. „Wenn das ein Leserbrief gewesen wäre, hätte das auf jeden Fall zu einem Disziplinarverfahren geführt“, sagte der SPD-Abgeordnete Nikolaos Sakellariou. Es handelte sich aber um keinen Lesebrief. Das Schreiben war nicht ausdrücklich als persönlich gekennzeichnet, weshalb es der Ausschussvorsitzende Drexler den Ausschussakten beilegte. Dieses Verfahren habe der Ausschuss in einem Beschluss im Dezember festgelegt, sagte Drexler.
Wie weit trägt das Legalitätsprinzip?
Damit erhielten jedoch auch die Regierungsvertreter Kenntnis von dem Schreiben des Polizisten. Neben den Abgeordneten und deren parlamentarischen Beratern nehmen drei Regierungsvertreter lebhaften Anteil am Ausschussgeschehen: zwei Ministerialbeamte aus dem Innenressort, einer aus dem Justizressort. Via Innenministerium wurde ein Disziplinarverfahren gegen den Polizisten eingeleitet, weil er sich in abträglicher Form über seinen Dienstherrn geäußert habe. Innenminister Gall stützte dieses Vorgehen mit Hinweis auf das Legalitätsprinzip, das seine Behörde zwinge, Rechtsverstöße zu ahnden. Die Rechtsexperten des Landtags teilen diese Auffassung ebenso wenig wie die Obleute sämtlicher Fraktionen im Untersuchungsausschuss, zumal es sich ja um keine Straftat handelte, sondern um eine disziplinarrechtliche Frage.
Drexler warf der Regierung einen „Verstoß gegen die Ausschussvertraulichkeit“ vor. Sein Ärger war umso größer, als er eher zufällig von dem Disziplinarverfahren gegen den Polizisten erfuhr. Der hatte sich nämlich an den Datenschutzbeauftragten des Landes gewandt, welcher wiederum beim Landtagspräsidenten Erkundigungen einzog. Das Verfahren gegen den Beamten wurde inzwischen eingestellt.
Noch in einem weiteren Fall gelangte ein Hinweis aus dem Untersuchungsausschuss an die Strafverfolgungsbehörden. Dabei geht es um den vom Ausschuss bereits als Zeugen vernommenen Torsten O., der gegenwärtig in Niedersachsen eine Haftstrafe verbüßt. Der Mann, der einen Ruf als Märchenerzähler zu verlieren hat, will über Tonbandaufnahmen verfügen, die bewiesen, dass er bereits vor dem Auffliegen des NSU-Trios von dessen Existenz gewusst und dies dem Staatsschutz berichtet habe. Der Hinweis auf die Tonbänder war neu; er gelangte aus dem Untersuchungsausschuss an das Stuttgarter Innenministerium und von dort weiter an das Bundeskriminalamt.
Im Fall von Florian H. kommt der Ausschuss nicht weiter
Jürgen Filius, der Grünen-Obmann im Ausschuss monierte, das Verhalten des Innenministeriums und seiner Vertreter „rührt an den Grundfesten unseres Auftrags“. Der CDU-Obmann Matthias Pröfrock warf dem Innenminister „fehlendes Fingerspitzengefühl“ und eine „wenig souveräne Handhabung des Falls“ vor. Der Ausschussvorsitzende Drexler appellierte an potenzielle Hinweisgeber, sich zu dennoch melden. „Wir sind auf Informationen angewiesen.“
Im Fall des toten, ehemaligen Neonazis Florian H. tritt der Ausschuss auf der Stelle. Der Grund liegt nach Angaben von Drexler und der Obleute der Fraktionen darin, dass die Familie des Toten sowie deren Vertrauter, der Wissenschaftler Hajo Funke, vier Beweisstücke nicht herausgeben. Dabei handelt es sich um Laptop, Camcorder, Festplatte und Handy. Das Landtagsgremium hatte am Freitag die Wohnung der Familie von Florian H. durchsuchen lassen. Gefunden wurde nichts.