Die Winterlinde ist zum Baum des Jahres 2016 gekürt worden. Im Forstrevier Nürtingen weiß man um die verborgenen Qualitäten des Baumes, der den wertvollen Eichen als Geleitschutz auf den Weg gegeben wird.

Nürtingen - Obwohl sie bis zu 40 Meter hoch wird, fristet die Winterlinde im Wald ein Schattendasein. Das ist kein Etikett, das der Mensch ihr aufgedrückt hat, das ist der Platz, den die Natur dem genügsamen Baum zugewiesen hat. Auf dass sich am Mauerblümchendasein wenigstens in der öffentlichen Wahrnehmung etwas ändere, hat das Kuratorium „Baum des Jahres“ die Winterlinde – lateinisch: Tilia cordata – jetzt zum Baum des Jahres 2016 gekürt.

 

Im Forstrevier Nürtingen weiß der Förster Richard Höhn schon lange um die verborgenen Qualitäten des Baumes. „Die Winterlinde ist sehr klimastabil. Vor allem aber erfüllt sie als dienende Baumart an der Eiche eine wichtige Rolle im Wirtschaftswald“, sagt der Förster. Er beziffert den Anteil an Winterlinden in seinem knapp 1400 Hektar großen Revier auf etwas mehr als drei Prozent der Holzbodenfläche – Tendenz steigend.

Dienende Baumart an der Eiche

Just in diesen Tagen forstet Höhn gemeinsam mit seinem Team eine Kahlfläche wieder auf, die das um sich greifende Eschensterben hinterlassen hat. Damit dort die Eichen optimale Wachstumsbedingungen haben, werden ihnen gleichzeitig 750 Winterlinden zur Seite gepflanzt. Weil Tilia cordata in ihren Ansprüchen an Licht, Wasser und Wärme deutlich genügsamer ist, als ihre Schwester, die alleenprägende Sommerlinde, gilt sie als der ideale Begleiter für die zur Sonne strebende Eiche.

„Die Winterlinde verschattet die Eichenstämmen und verhindert, dass diese wertmindernde Wasserreiser bilden“, sagt Höhn. Weil der Zeitgeist nach dunklem Holz verlangt, ist Eiche derzeit sehr nachgefragt. Aber nur makelose Eichenstämme lassen sich zu Spitzenpreisen von bis zu 400 Euro pro Festmeter verkaufen.

Die Winterlinde spielt im Holzverkauf des Forstamts dagegen keine Rolle. „Dabei eignet sie sich hervorragend als Schnitz- und Drechselholz, aber auch für Verzierungen und für Handläufe an Treppen“, sagt Höhn. Trotzdem werde ein guter Teil des Winterlinden-Einschlags zu profanen Bleistiften weiterverarbeitet. „Da liegt dann der erzielte Preis knapp über dem Brennholzpreis und steigt selbst für gute Exemplare nicht über 150 Euro“, sagt der Förster.

Paradies für Bienen und Hummeln

Der ökologische Wert der Winterlinde, nicht nur als Schaftschutz für die Eiche, ist dagegen ungleich höher. Wenn sich im Juli die Lindenblüten öffnen, dann ist das für Bienen, Hummeln und andere Insekten eine willkommene Labsal – zumal die Linde mit ihrer späten Blüte nahezu ein Alleinstellungsmerkmal in der Natur einnimmt.

Dass es die Winterlinde ausgerechnet ihrer Eignung als „Baum im Unterstand“ drauf und dran ist, der wesentlich weiter verbreiteten und höher gehandelten Esche den Rang abzulaufen, ist ein Werk des falschen weißen Stängelbecherchens. So heißt der aus China eingeschleppte Pilz, der den Eschen in den mitteleuropäischen Wäldern den Lebensnerv kappt.„Der Pilz befällt alle Altersstufen. Das ist eher ungewöhnlich“, sagt Höhn. In den vergangenen drei Wochen hat der Förster rund 80 befallene Festmeter Eschenholz aus dem Wald im Nürtinger Teilort Neckarhausen holen müssen – beinahe in einer Nacht-und-Nebelaktion. „Da mussten wir abschnittsweise reingehen, sonst hätten uns die Leute an die Rathaustüre genageln“, sagt er.

Die Esche ist ein Auslaufmodell

Noch nimmt die Esche rund sechs Prozent der Holzbodenfläche im Forstrevier Nürtingen ein. Bald wird es sie im Wald nicht mehr geben. „Der Pilz ist nicht zu stoppen. Die Sporen breiten sich über den Wind aus“, sagt Höhn. Zudem hat sich der chinesische Einwanderer bei seinem zerstörerischen Werk mit einheimischen Komplizen zusammengetan. „Ist der Baum erst geschwächt, dann machen sich die Holzzersetzer wie der Brandkrustenkäfer ans Werk“, sagt der Förster. An der genügsamen und widerstandsfähigen Winterlinde dagegen beißt sich die chinesisch-schwäbische Fressgemeinschaft dagegen die Zähne aus.