Der Gemeinderat rügt Otmar Heirich und Claudia Grau. Die Forderung lautet, dass sich die Rathausspitze zusammenrauft.

Nürtingen - Der Schreck sitzt den Stadträten in Nürtingen noch in den Gliedern. Doch die Sprache haben sie inzwischen wiedergefunden. In einer gemeinsamen Erklärung rufen die Fraktionen Otmar Heirich und Claudia Grau zur Räson. „Wir erwarten, dass der Oberbürgermeister und die Bürgermeisterin in der Sitzung des Gemeinderates noch in dieser Woche darlegen, wie sie sich die weitere Zusammenarbeit untereinander, in der Verwaltung, gegenüber dem Gemeinderat und gegenüber der Bürgerschaft vorstellen“, verliest der CDU-Fraktionschef Thaddäus Kunzmann aus einer vorbereiteten Erklärung. Die nichtöffentliche Sitzung ist für den Donnerstagabend angesetzt.

 

Am vergangenen Donnerstag war eine vertraulich an die Fraktionsvorsitzenden gerichtete E-Mail Graus öffentlich geworden. Darin beklagt die parteilose Kulturbürgermeisterin, dass Heirich (SPD) und leitende Mitarbeiter aus dessen Dezernat ihr systematisch Steine in den Weg legten. Von Mobbing war die Rede. Als Antwort hatte der OB dann kaum verhohlen gedroht, seine Stellvertreterin kaltzustellen.

Zu den Mobbingvorwürfen äußern sich die Stadträte nicht

Der Gemeinderat missbilligt, dass durch die Veröffentlichung der Mail nichtöffentliche Beratungen im Verwaltungsausschuss bekannt geworden und betroffenes Rathauspersonal namentlich genannt worden ist. „Damit wurde der Vertrauensschutz für die Mitarbeiter grob verletzt“, heißt es in der Erklärung. „Drohungen weisen wir zurück. Wir rufen aus diesem Grund beide zur Ordnung.“ Von einer einseitigen Schuldzuweisung nehmen die Kommunalpolitiker Abstand: „Der Gemeinderat lehnt Scherbengerichte ab.“

Auf die Mobbingvorwürfe gehen die Stadträte noch nicht ein. „Das ist ein Punkt, den wir am Donnerstag nicht öffentlich diskutieren“, sagt Kunzmann. „Wir lehnen eine Vorverurteilung ab“, erklärt der SPD-Fraktionschef Hans-Wolfgang Wetzel.

Nürtingen steht in den kommenden Jahren vor schweren Aufgaben. Der Kampf gegen die Verschuldung, ein enormer Sanierungsbedarf bei städtischen Gebäuden und die Stadtentwicklung sind nur einige Beispiele. „Vieles stockt in Nürtingen. Wir erwarten, dass die Verwaltung wieder handlungsfähig wird“, fordert Kunzmann. Der Landtagsabgeordnete beschreibt die Schwierigkeit so: „Wir können niemanden zum Teufel jagen. Die beiden haben noch sieben Jahre miteinander zu arbeiten.“

Jenseits der demonstrativen Einigkeit gibt es Differenzen

Claudia Grau hatte sich im Februar 2011 bei der Wahl im Gemeinderat klar gegen den Amtsinhaber Rolf Siebert (CDU) durchgesetzt. Otmar Heirich war vor einem Jahr wiedergewählt worden – allerdings erst im zweiten Wahlgang. Seine 49,6 Prozent standen gegen 32 Prozent, die Grau erzielte. Dabei hatte sie gar nicht kandidiert. Viele Bürger jedoch hatten Graus Namen auf ihre Stimmzettel geschrieben.

Die Fraktionen demonstrieren nun Einigkeit. Differenzen werden dennoch deutlich. Als „weichgespült“ bezeichnete Dieter Braunmüller die gemeinsame Erklärung. Sie bilde für den Gemeinderat zwar einen gemeinsamen Nenner. „Sie können aber davon ausgehen, dass wir nicht einer Meinung sind“, schränkt der Vorsitzende der Nürtinger Liste/Grüne (NLG) ein. Die Fraktion steht Heirich äußerst kritisch gegenüber. „Gespannt bin ich, wer den Kulturausschuss heute leitet. Ob das Frau Grau sein wird, oder ob der OB das an sich reißt“, meint Peter Rauscher (NLG).

Laut dem Rathaussprecher Clint Metzger sollte am Montag die turnusmäßige Dezernentenrunde auch zu einer Aussprache zwischen Heirich und Grau genutzt werden. Ob es dazu kam, ist noch unklar. Es sei nicht ihre Absicht gewesen, dass die E-Mail öffentlich wird, betont indessen Claudia Grau. Die Mail war der Presse zugespielt worden.

Kommentar: Löschversuch

Nürtingen - Die Fraktionsvorsitzenden in Nürtingen wollen kein Öl ins Feuer gießen. Im Rathaus brennt es ohnehin lichterloh. Da ist es verständlich, dass sie erst einmal versuchen zu löschen und den Brand einzudämmen. Im Interesse der Stadt ist es wichtig, dass die Rathausspitze bei zentralen Themen eine Arbeitsebene findet. Zu Recht befürchten die Stadträte eine Lähmung der Politik.

Claudia Grau und Otmar Heirich gleichermaßen die Schuld zu geben ist zwar diplomatisch, greift aber zu kurz. Die Stadträte werden nicht umhinkommen, den gegen Heirich gerichteten Mobbingvorwürfen nachzugehen. Sollten sie sich bewahrheiten, wäre der Oberbürgermeister erheblich in Erklärungsnot. Allerdings lässt die Wortwahl der gestrigen Erklärung darauf schließen, dass ein Teil des Gemeinderats eine öffentliche Aufklärung ablehnt. Die Probleme unter den Teppich zu kehren birgt jedoch Gefahren. Die Spannungen zwischen Heirich und Grau verschwinden nicht über Nacht. Bis es im Rathaus wieder rumpelt, ist nur eine Frage der Zeit.