Der in finanzielle Schieflage geratene Trägerverein Freies Kinderhaus bittet die Stadt um Unterstützung. Falls Hilfe ausbleibt, drohen in der Alten Seegrasspinnerei über kurz oder lang die Lichter auszugehen.

Nürtingen - Über die Stadtgrenzen hinaus genießt die Nürtinger Alte Seegrasspinnerei einen ausgezeichneten Ruf. Dies hat aber nicht verhindern können, dass das ökologische, soziale und kulturelle Zentrum in der Plochinger Straße finanziell in Schieflage geraten ist. Auf circa 70 000 Euro belief sich das Defizit im Jahr 2013, danach betrug es rund 50 000Euro, und auch für das vergangene Jahr rechnet der Trägerverein Freies Kinderhaus (TVFK) mit einem ähnlichen Minus.

 

Keine Landesförderung als soziokulturelles Zentrum

In Bedrängnis gerät das Zentrum nicht zuletzt wegen seiner Buntheit. Auf dem Gelände finden Kinder viel Raum zum Experimentieren, es gibt eine Kulturkneipe, eine Medienwerkstatt, eine Lehmbauwerkstatt. Auf dem Areal tummeln sich diverse Initiativen, und im Sommer finden dort die Afrikatage statt. Zum Portfolio des Trägervereins gehören auch Betreuungseinrichtungen wie die Kleinkindgruppe der Wiwawuschels, ein Waldkindergarten und ein Schülerhort. Dieser charakteristische Mix ist mit Nachteilen verbunden. Denn trotz der soziokulturellen Ausrichtung der Kulturkantine bekommt der Trägerverein dafür keine Landesförderung.

Der TVFK sei vorrangig in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv, erklärt Christine Pfirrmann von der Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und Soziokulturellen Zentren (LAKS). Damit gebe es keinen Anspruch auf Geld aus dem Landes-Topf für soziokulturelle Zentren. Zu den Vergabekriterien gehört, dass die jeweilige Kommune ein soziokulturelles Zentrum bezuschusst. So erhält etwa die Esslinger Dieselstraße rund 230 000 Euro von der Stadt. Die LAKS überweist 117 000 Euro an das Zentrum, das der Stadt wiederum 130 000 Euro Miete zahlt.

Furcht vor Zerschlagung der Seegrasspinnerei

Ernüchtert zieht der TVFK dieses Fazit: „Vielfältigkeit ist ein Hindernis, das ,Sowohl-als-auch‘ wird in der Finanzfrage zum ,Weder-noch‘.“ Wenn man die Bereiche Soziokultur und die Kinder- und Jugendarbeit in zwei Vereine aufteilen würde, erwartet die TVFK-Spitze nicht die gewünschte höhere Förderung. Sie vermutet „eher eine Zerschlagung“ der Nürtinger Seegrasspinnerei.

In ihrer Not haben die Verantwortlichen die Stadt bereits im Dezember 2014 um Finanzhilfe gebeten. Um das Zentrum mit all seinen bisherigen Angeboten auf eine solide Basis zu stellen, wäre ein Jahreszuschuss von 100 000 Euro notwendig, haben die Geschäftsführer Julia Rieger und Peter Lohse ausgerechnet. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, schildert der TVFK-Vorsitzende Klaus Nägele die Lage. Der TVFK und andere freie Kita-Träger verhandeln mit der Stadt schon um eine Erhöhung des Betriebskostenzuschusses. Der Ausgang ist ungewiss, ein freier Träger klagt bereits vor Gericht.

Kommunalpolitik reagiert bisher nicht

Den Trägerverein irritiert, dass weder die Verwaltungsspitze noch der Gemeinderat eineinviertel Jahre nach dem ersten Hilferuf das Thema auf die Agenda gebracht haben. „Wir befinden uns im Vertröstungsmodus“, sagt Julia Rieger. Dabei dränge die Zeit. Bleibe die Hilfe aus, drohten Schließungen. Über kurz oder lang könnten auf dem Areal die Lichter sogar ganz ausgehen, befürchtet der Verein. Betroffen sind unter anderem die Kinder-Kultur-Werkstatt (Kikuwe) und die Jugendwerkstatt. Um diesen beiden Einrichtungen unter die Arme zu greifen, gibt es, wie berichtet, am 20. März den Benefizlauf „Renn, Seegras, renn“. Zwar schießt die Stadt für die Kikuwe jährlich 43 000 Euro zu. Doch dieser Betrag ist Peter Lohse zufolge seit zehn Jahren unverändert.

Beim TVFK arbeiten 40 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte auf 20 Vollzeitstellen. Steigende Personal- und Nebenkosten könnten durch Gebührenanhebungen oder über Spenden allein nicht ausgeglichen werden, erklärt die Geschäftsführung. Zu schaffen machen dem Verein zudem die Mietzahlungen für das Fabrikgebäude des denkmalgeschützten früheren Industrie-Ensembles. Während der Renovierungsphase durch den Verein war noch keine Miete fällig geworden. Doch seit dem Abschluss der Sanierung 2012 schlagen pro Jahr circa 70 000 Euro zu Buche.

Gemeinderat soll im Mai oder Juni beraten

Rund 60 000 Besucher zählt das Zentrum pro Jahr. „Wir bieten für die Öffentlichkeit eine Leistung, die für das soziale Leben in der Stadt einen wertvollen Beitrag darstellt. Nicht zu entscheiden heißt, billigend in Kauf zu nehmen, dass hier etwas unwiederbringlich kaputt geht“, warnt Klaus Nägele. „Der Zuschussantrag wird im Mai oder Juni im Gemeinderat beraten“, erklärt der Rathaussprecher Clint Metzger.