Bei den Wahlgängen in den Jahren 1996 und 2004 hat der CDU-Bewerber von der Uneinigkeit der Konkurrenz profitiert. Und diesmal? Die Grünen und die SPD geloben Besserung.
Stutttgart - Der Wahltag am 7. Oktober naht – doch kaum jemand rechnet damit, dass der künftige Stuttgarter Oberbürgermeister bereits nach dem ersten Wahlgang feststeht. Zu hoch erscheint die 50-Prozent-Hürde, die einer der Bewerber nehmen müsste, damit der zweite Wahlgang obsolet würde. Nicht zuletzt deshalb richtet sich der Blick schon jetzt auf den 21. Oktober, den mutmaßlichen Tag der Entscheidung. Vor allem die Grünen und die SPD werden zwischendurch gefordert sein: schließlich haben beide Parteien bei den zurückliegenden Oberbürgermeister-Wahlen 1996 und 2004 die Erfahrung machen müssen, dass man einen schwarzen Rathauschef allenfalls dann verhindern kann, wenn man die Kräfte bündelt.
Zumindest im Ziel sind sich die Parteispitzen einig, das haben sowohl der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc als auch der Grünen-Chef Philipp Franke klar zu erkennen gegeben. Schon im Herbst vergangenen Jahres hat es zwischen beiden Parteien informelle Gespräche über mögliche Bündnisse nach dem ersten Wahlgang gegeben. Nach StZ-Informationen gibt es aber keine bindenden Absprachen zwischen den Parteigranden oder den Kandidaten. Das Misstrauen auf beiden Seiten sitzt zudem immer noch tief. Warum, das zeigt ein Blick in die Geschichte der OB-Wahlen.
Der Wahlgang 1996
20. Oktober 1996: Nach dem ersten Wahlgang im Rennen um die Nachfolge von Manfred Rommel liegt der CDU-Kandidat Wolfgang Schuster mit 35,2 Prozent an der Spitze. Ihm am nächsten kommt das wortgewaltige und über Stuttgart hinaus bekannte Grünen-Urgestein Rezzo Schlauch (30,6 Prozent). Auf Platz drei und mit 22,6 Prozent weit abgeschlagen kommt der SPD-Bewerber Rainer Brechtken ins Ziel. Die Ausgangslage für den zweiten Wahlgang ist somit klar: Sollte Brechtken zurückziehen und seinen Wählern empfehlen, Schlauch die Stimme zu geben, könnte es für Schuster schwierig werden.
Doch noch am Wahlabend erklärt Brechtken – ermutigt von Parteifreunden wie dem Krimiautor Fred Breinersdorfer, der den Bewerber auf der „Überholspur“ wähnt – ein Rückzug komme für ihn nicht infrage. Und das, obwohl es schon vor dem ersten Wahlgang Anzeichen dafür gegeben hatte, dass der damalige Pforzheimer SPD-Oberbürgermeister Joachim Becker in Konkurrenz zum Parteifreund Brechtken antreten will. Gespräche mit den Grünen über ein gemeinsames strategisches Vorgehen werden vom damaligen SPD-Landeschef Ulrich Maurer (heute in der Linkspartei) und führenden Genossen aus dem Rathaus abgeblockt. Die Grünen werten das Verhalten der SPD, damals im Stuttgarter Gemeinderat hinter der CDU die zweite politische Kraft, als Affront. Noch Monate später rechtfertigt sich Brechtken vor der SPD-Basis damit, man habe „den Menschen, die in der Gesellschaft sozial deklassiert und gefährdet sind“, eine Alternative anbieten müssen, „weil Schlauch für diese Menschen keine Alternative ist“.
10. November 1996: CDU-Mann Schuster heißt der strahlende Sieger des zweiten Durchgangs. Er ist mit 43,1 Prozent zum neuen Oberbürgermeister der Landeshauptstadt gewählt worden. Der Grüne Schlauch erzielt 39,3 Prozent der Wählerstimmen und muss erneut mit Platz zwei vorliebnehmen. Auf den offiziellen SPD-Bewerber Brechtken entfallen noch 13,5 Prozent, der selbst ernannte unabhängige Kandidat Becker muss sich mit 3,4 Prozent begnügen. Schlauch sieht sich um den möglichen Sieg gebracht und schimpft die SPD eine „Splitterpartei“. Sein Parteifreund Fritz Kuhn, heute selbst OB-Kandidat und damals Fraktionschef der Landtagsgrünen, nennt den SPD-Landesvorsitzenden Maurer einen „nützlichen Idioten“ des Wahlsiegers Wolfgang Schuster.
Der Wahlgang 2004
Acht Jahre später tritt der Amtsinhaber erneut an. Diesmal sieht er sich der SPD-Stuttgarter Bundestagsabgeordneten Ute Kumpf sowie dem Grünen Boris Palmer gegenüber. Das Trauma von 1996 belastet das Verhältnis zwischen SPD und Grünen noch immer, Absprachen über eine gemeinsame Marschroute gibt es nicht. Mit dazu bei trägt auch, dass sich die beiden Schuster-Herausforderer persönlich in herzlicher Abneigung verbunden sind.
10. Oktober 2004: Wolfgang Schuster hat im ersten Wahlgang mit einem Stimmenanteil von 43,5 Prozent erneut die Nase vorn. Grünen- und SPD-Bewerber haben im Vergleich zu 1996 die Plätze getauscht: Die SPD-Kreisvorsitzende Kumpf erzielt 32,8 Prozent, Boris Palmer (21,5 Prozent) muss sich mit dem dritten Rang begnügen. Auch diesmal also erscheint die Rechnung ganz einfach: Palmer zieht zurück, spricht sich für Ute Kumpf aus und macht damit dem Christdemokraten Schuster das Leben schwer. Doch es kommt anders.
Den gleichen Fehler nicht noch mal machen
Zwar verzichtet Palmer auf den zweiten Urnengang, doch er knüpft eine Wahlempfehlung an Bedingungen – und will entgegen dem Willen der Berliner Parteispitze sowohl mit Kumpf als auch mit Schuster reden. Am Ende spricht sich Palmer für Schuster aus, ohne allerdings direkt zu dessen Wiederwahl aufzurufen. Zuvor hatte er dem OB unter anderem den Verzicht auf die umstrittene Bebauung der Streuobstwiesen am Rohrer Weg in Möhringen abgehandelt. Aus Palmers Sicht entscheidend ist die angebliche Zusage des OB, in Stuttgart einen Bürgerentscheid bei relevanten Mehrkosten für das schon damals umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 durchzuführen. Ein Versprechen, das später von Schuster und Palmer unterschiedlich interpretiert – und nie eingelöst wird.
Diesmal schäumt die SPD: Der damalige Kreischef Andreas Reißig nennt Palmer „unglaubwürdig“, Kumpf bezeichnet den Grünen später als „schlechten Verlierer“, und die Landes-SPD wertet seine Wahlkampfhilfe für Schuster als Vorbote einer schwarz-grünen Koalition im Land.
24. Oktober 2004: 53,3 Prozent der Wählerstimmen sichern Wolfgang Schuster im zweiten Wahlgang eine weitere Amtszeit, Ute Kumpf kommt auf 45,2 Prozent. Auch dieses Ergebnis wirkte im rot-grünen Binnenverhältnis noch lange nach und beeinträchtigte auch die Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen im Rathaus der Landeshauptstadt. Zwar hat die Landtagswahl 2011 gezeigt, dass Grün und Rot gemeinsam in der Lage sind, dem bürgerlichen Lager Paroli zu bieten, doch was wäre, wenn der Abstand zwischen Fritz Kuhn und der SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm knapp ausfallen würde? Führende Grüne und Sozialdemokraten reagieren auf solche Spekulationen fast wie abgesprochen: „Gehen Sie davon aus, dass wir den gleichen Fehler nicht noch einmal machen werden.“ Nach dem 7. Oktober wird man sie an diesen Aussagen messen.