Am Samstag eröffnen die Passionsspiele in Oberammergau, die nur alle zehn Jahre stattfinden. Hunderttausende Neugierige werden erwartet.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)
Stuttgart - Wer öfter in Oberammergau vorbeikommt, könnte denken, er kenne den Ort so weit: kein Kunststück, oder? 5000 Einwohner, streng genommen eine mäandernde Dorfhauptstraße, wenige gescheite Wirtshäuser und viele touristisch onduliert, immer noch im ästhetischen Lockenlook der siebziger Jahre. Und dann kommt einmal scharf links vorm mit Gottesdevotionalien nur so gespickten Ortskern schon das Gewerbegebiet, wo sich die übliche Discounterhölle auftut. Das ist alles.

Aber man soll sich nicht täuschen. Oberammergau, in manchen Teilen der Welt ein Synonym für Bayern überhaupt, ist ein an unverhofften Pointen überreiches Dorf, was man unter anderem daran merken kann, dass die Kirche, die dem vergleichsweise riesigen Passionstheater baulich am nächsten kommt, ausgerechnet die evangelisch-lutherische ist. Sie liegt auf dem Weg zum Hintereingang der Bühne, die während der letzten Dekade ein verschiebbares Glasdach spendiert bekommen hat. Nun kann es in den Freilichtraum nicht mehr reinregnen, wenn am Samstag zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder Menschen Platz nehmen (sitztechnisch ein hartes Los), um eine sehr üppige Wagneropernlänge lang zu verfolgen, wie 2500 Oberammergauer Laien Christi Leben, Tod und Auferstehung nachspielen. 120-mal geht das so, von mittags bis nachts und bis Oktober: Jesus XXL. Das kann ein Mensch alleine natürlich nicht schaffen. Der Erlöser ist deshalb auch als Doppelpack besetzt wie alle anderen tragenden Rollen.

Eine weitere lokale Kuriosität erschließt sich nicht auf den ersten Blick: Erstmalig nämlich sticht im Schaukasten am Festspielhaus die markige Schrift des Oberammergauer Bürgermeisters Arno Nunn ins Auge. Zusammen mit dem Spielleiter Christian Stückl hat er am Aschermittwoch 2009 einen Schrieb unterzeichnet, der den Mitwirkenden an der Passion ernstlich nahe legte, fortan ihr Haupthaar wild wachsen zu lassen. Schließlich lief man damals so rum zu Jesus' Hochzeiten, Römer ausgenommen, und authentisch soll es ja sein. Christian Stückl sagt, Haare gingen ja noch, Bart sei schlimmer, "da schaugt di ja ka Weiberts mehr an".

Es wird nicht in Jahren, sondern in Passionen gerechnet


Stückl hat leicht feixen, denn als Regisseur ist er außen vor. Andererseits: wer ein echter Oberammergauer sein will, den kratzt das nicht. Heißt es. Und nun kommt Arno Nunn ins Spiel, denn Nunn steht noch nicht einmal fürs kollektive Fußvolk zur Verfügung und schaut deshalb auch ein paar Tage vor der Premiere aus wie immer, nämlich leidlich rasiert. Acht Jahre fehlen ihm zur Passionsreife, sozusagen.