Vor acht Jahren hat es Guido Till unter der Flagge der SPD zum Göppinger Oberbürgermeister gebracht. Jetzt tritt er zur Wiederwahl an – mit einem neuen Unterstützerkreis.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Die Liste trägt 68 Namen. Künstler, Ärzte, Gewerkschafter und ein Pfarrer haben unterschrieben. Und dann befinden sich noch auffallend viele Mitglieder der Göppinger SPD darauf. „Wir wählen Guido Till“, steht auf dem Blatt, das zur Göppinger Oberbürgermeisterwahl unter die Leute gebracht wurde. Acht Jahre ist das nun her. Am kommenden Sonntag wird wieder gewählt. Till will im Rathaus bleiben. Doch fragt man den gleichen Personenkreis nach einer Wahlempfehlung, so überspringt der Amtsinhaber im Kreise seiner einstigen Freunde allenfalls die Fünfprozenthürde. „Er hat durchaus die Fähigkeit, auf die Menschen zuzugehen, sie anzusprechen, vielleicht sogar ihnen zuzuhören“, sagt der ehemalige Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, Albrecht Daur, der vor acht Jahren den Unterstützerkreis leitete. Doch in kritischen Situationen habe sich gezeigt, dass Tills kommunikative Fähigkeiten sehr begrenzt seien.

 

Deshalb zu glauben, Till müsste am Sonntag bei insgesamt sechs Gegenkandidaten um sein Amt zittern, wäre freilich übertrieben. Schließlich hat er längst neue Freunde gefunden. „Ich hoffe, dass er es schon im ersten Wahlgang packt“, sagt der CDU-Fraktionschef Felix Gerber. Vor acht Jahren unterstützte seine Partei noch den damaligen CDU-OB Reinhard Frank. Über Tills Wahl ärgerten sich die Christdemokraten dann derart, dass sie ihm per Gemeinderatsbeschluss als Erstes sein Gehalt kürzten. Doch zur gleichen Zeit, in der sich Till und die SPD fremd wurden, begann auf der anderen Seite ein langsamer Annäherungsprozess.

„Wir haben gemerkt, dass wir das gleiche große Ziel haben: die Stadt voranzubringen“, sagt Gerber. Der Bau der EWS-Arena, der Umzug der Firma Kleemann in den Stauferpark und die Umgestaltung der maroden Bleichstraße zu einem modernen Einkaufszentrum seien solche Meilensteine, die man gemeinsam erreicht habe. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass diese Erfolge nicht ungetrübt waren. Die Arena verteuerte sich von 11 auf fast 18 Millionen Euro. Bei der Firma Kleemann musste das Regierungspräsidium Till bei seinen finanziellen Zugeständnissen bremsen, und auch das Einkaufszentrum ließe sich besser als Leistung herausstellen, wenn das Projekt schon aus der Planungsphase herausgekommen wäre.

Die CDU-Granden stehen sich für Till die Beine in den Bauch

Wie dem auch sei: inzwischen stehen sich die CDU-Granden für Till sogar die Beine in den Bauch. An seinen Werbeständen in der Göppinger Innenstadt tummeln sich neben Gerber der CDU-Landtagsabgeordnete Dietrich Birk und die Stadtverbandsvorsitzende Gabriele Keppeler. Spenden für Tills Wahlkampf können über die CDU-Kasse geleitet werden (und sind dann steuerabzugsberechtigt). Auch die FDP und die vom ehemaligen SPD-Fraktionschef Emil Frick gegründete Bürgerallianz haben sich für Tills Wiederwahl ausgesprochen. Vor acht Jahren war Frick übrigens einer der wenigen Sozialdemokraten, die für Frank warben.

Fast das gesamte bürgerliche Lager steht auf Tills Seite. Nur die Freien Wähler halten sich mit einer Wahlempfehlung zurück. Schließlich steht eines ihrer Fraktionsmitglieder am Sonntag selbst auf dem Stimmzettel. Der Regional- und Stadtrat Joachim Hülscher bietet sich als „die Alternative“ an. Nicht alle Freien Wähler sind glücklich darüber. Bis vor sechs Jahren saß der 60-jährige Architekt und Stadtplaner selbst als Baubürgermeister auf der Verwaltungsbank. Dann vereinbarte Till mit den großen Fraktionen seine Ablösung. Nun will Hülscher mit seiner städtebaulichen Kompetenz punkten. Den Investoren müssten klare Vorgaben gemacht werden, fordert er. Außerdem müsse Schluss mit dem Mobbing innerhalb der Stadtverwaltung gemacht werden. Denn Hülschers Nachfolger Olav Brinker erging es genau genommen noch schlimmer als ihm. Er wird gut bezahlt, ist aber komplett kaltgestellt.

Es sind kuriose Konstellationen in der Göppinger Kommunalpolitik. Doch Till findet nichts Bemerkenswertes daran, dass der Wahlkampf 2012 nun unter den komplett entgegengesetzten Vorzeichen abläuft als noch vor acht Jahren. „Ich bin meiner Linie treu geblieben“, sagt der 57-Jährige.

Bei der SPD sieht man dies allerdings anders. Wie stolz waren die Genossen, als vor acht Jahren endlich ein Sozialdemokrat ins Rathaus im roten Göppingen einzog, wie die Stadt in der Weimarer Republik wegen der für württembergische Verhältnisse ungewohnt hohen Stimmenanteile für SPD und KPD genannt wurde. „Ohne uns hätte es Till niemals geschafft“, sagt Frieder Birzele. Der Ex-Landtagsabgeordnete und Innenminister ist die graue Eminenz der Göppinger Sozialdemokratie. Doch dann gab es immer wieder Reibereien zwischen dem links orientierten Stadtverband und dem neuen Aushängeschild an der Rathausspitze. Im Jahr 2008 stimmte die Hälfte der SPD-Fraktion nicht für Tills Haushalt. Mehr als einmal drohte dieser mit seinem Parteiaustritt.

Till sagt der SPD ade

Dass er ihn dann im Oktober 2009 vollzog, ausgerechnet kurz nach dem Debakel der SPD bei der Bundestagswahl, empfanden viele als Tiefschlag. Dass er den Schritt aber regelrecht zelebrierte, werden ihm Göppingens Sozialdemokraten nie verzeihen. Birzele ist noch heute entsetzt. „Er hat sein Parteibuch lächelnd in einen Umschlag gesteckt und den Fotografen der Lokalzeitung in sein Amtszimmer einbestellt, um diese Szene zu dokumentieren.“

Ob dies schon der Augenblick war, in dem die SPD-Führung entschied, bei der nächsten OB-Wahl mit einem Gegenkandidaten ins Rennen zu gehen, ist unbekannt. Vielleicht geschah es auch erst vor einem Jahr, als der langjährige Sozialbürgermeister Jürgen Lämmle nach der Landtagswahl ins SPD-geführte Sozialministerium abwanderte. Till verabschiedete ihn mit großen Lobpreisungen, um in der nächsten öffentlichen Gemeinderatssitzung anzukündigen, mit den sozialen Luftballons müsse es nun ein Ende haben. Dass Till im Wahlkampf die sozialen Errungenschaften aus Lämmles Amtszeit gerne als Argumente für sich anführt, ärgerte die Genossen zusätzlich.

Die SPD jedenfalls betrieb erheblichen Aufwand, um wie vor acht Jahren einen schlagkräftigen Kandidaten ausfindig zu machen. Dafür fischte sie sogar in fremden Gewässern. Bekannt wurden Gespräche mit dem Bezirksvorsteher von Bad Cannstatt, Thomas Jakob. Doch der CDU-Politiker winkte nach kurzer Bedenkzeit ab. Dabei dürfte auch die unverblümt geäußerte Einschätzung des SPD-Linken Herbert Schweikardt eine Rolle gespielt haben. „Manchmal muss man eben den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, hatte der Stadtrat die Person Jakob kommentiert.

Wie in Stuttgart: ein Grüner als Hauptkonkurrent

Erst kurz vor der Schließung der Bewerberliste konnte dann doch noch ein echter Sozialdemokrat präsentiert werden, der sogar über Verwaltungserfahrung verfügt. Stefan Sünwoldt führte sechs Jahre lang das Rathaus der 20 000-Einwohner-Stadt Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein. Dann wurde er, bisher einmalig in diesem Bundesland, durch ein Abwahlverfahren abgelöst. Es habe Probleme mit der schwarz dominierten Stadtverordnetenversammlung gegeben, heißt es.

Vor allem im Bereich der Integration von Migranten könnte Sünwoldt, der mit einer Afghanin verheiratet ist, neue Impulse setzen. Andererseits fürchten selbst manche Sozialdemokraten, ihr Kandidat könnte angesichts seiner Vorgeschichte zu weich sein, um gegenüber dem schwierigen Göppinger Gemeinderat zu bestehen. Schließlich treibt dort auch der berüchtigte Linken-Stadtrat Christian Stähle sein Unwesen. In den vergangenen drei Jahren hat er acht Dienstaufsichtsbeschwerden gegen den OB eingereicht. Und natürlich steht er auch bei der OB-Wahl auf dem Stimmzettel.

Ähnlich wie in Stuttgart ist es allerdings ein Grüner, der als der Hauptkonkurrent gilt. Vor acht Jahren zählte Christoph Weber noch selbst zu Tills Unterstützerkreis. Jetzt kandidiert der gebürtige Heidelberger, der seit acht Jahren die Grünen-Fraktion führt, als Gegenentwurf zum Amtsinhaber. Weber ist kein großer Redner und wirkt in seinem Auftreten nicht unbedingt wie ein geborener OB. Doch mit seiner Bescheidenheit und seinem Entwurf von einer Stadt des Miteinanders konnte der Chemiker, der im Dienst des Regierungspräsidiums steht, punkten. Viele Möglichkeiten, sich zu zeigen, gab es jedoch nicht. Keine einzige Podiumsdiskussion wurde im Vorfeld der Wahl angeboten. Die Lokalzeitung, zu der Till ein auffallend gutes Verhältnis pflegt, hielt sich vornehm zurück.

Weber hofft auf einen Kuhn-Effekt

Weber glaubt dennoch an seine Chance. Nach dem guten Abschneiden Fritz Kuhns in der Landeshauptstadt sehe er sich weiter auf dem Vormarsch: „Das hat mein Wahlkampfteam und die Wähler zusätzlich motiviert.“ In einem ähnelt Weber übrigens dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Auch Weber verfügt über so etwas wie eine K-Gruppen-Vergangenheit, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen: Der gläubige Katholik war früher einmal in der CDU. Der Austritt erfolgte vor langer Zeit, ohne Foto, ganz im Stillen.

Dass auch Till Weber als Verfolger wahrgenommen hat, zeigt ein Vorfall, der bereits als Tortenaffäre in den Wahlkampf Einzug gehalten hat. Weber hatte in einer bekannten Göppinger Konditorei Fotos für seine Kandidaten-Homepage machen lassen. Noch ehe die Seite bei Google gelistet war, intervenierte der OB. Der Konditor zog daraufhin seine Genehmigung zurück. „Ich finde es nicht schön, wenn meine Konditorei in den Wahlkampf hineinzogen wird“, rechtfertigte Till sein Eingreifen.

In eigener Sache ist der OB nicht so zimperlich. So druckte er in seinem Wahlprospekt ungefragt ein Foto mit dem zur Neutralität verpflichteten Regierungspräsidenten Johannes Schmalzl ab. Das Regierungspräsidium sah sich daraufhin zu der Stellungnahme gezwungen, keine Vorlieben für die OB-Wahl zu haben.

Eine Hostie für den Protestanten

Es sind solche Taktlosigkeiten, mit denen Till andere immer wieder in die Bredouille bringt. Am vergangenen Sonntag traf es die katholische Kirche St. Joseph. Zum 60. Jubiläum besuchte Till nicht nur den Gottesdienst, sondern nahm auch an der Eucharistiefeier teil. Man muss die rigide katholische Kirchenlehre nicht unbedingt gutheißen. Doch den armen Pfarrer zwang Till durch sein Auftauchen dazu, sich vor der versammelten Gemeinde über die Vorgaben des Vatikans hinwegzusetzen. Denn natürlich wagte es der Pfarrer nicht, Till die Hostie vorzuenthalten, obgleich der OB evangelisch und zum dritten Mal verheiratet ist.