Der Werbeprofi Sebastian Turner will Oberbürgermeister werden und sieht sich als Brückenbauer im Streit um Stuttgart 21. Der jungen Union reicht das nicht.
Stuttgart - Es fällt nicht leicht, sich Sebastian Turner als Oberbürgermeister bei der Wiedereröffnung einer renovierten Turnhalle oder beim Fassanstich einer Hocketse vorzustellen. Mit zerknitterter Krawatte, grauem Wolljackett und randloser Brille präsentierte sich der vom CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann zum OB-Wunschkandidaten ausgerufene 45-Jährige am Montag ganz unprätentiös erstmals Medienvertretern und später am Nachmittag auch der parteiinternen Findungskommission. In den kommenden Tagen will er sich dann der Parteibasis vorstellen und dabei „zuhören und reden“.
Er sei „ein erstklassiger Personalvorschlag“, beteuerte Kaufmann erneut – da schwang unüberhörbar viel Eigenlob mit. Dem Bewerber selbst ist das eher fremd. Als ihn Kaufmann vor zwei Monaten gefragt habe, ob er im Fall eines Verzichts von Amtsinhaber Wolfgang Schuster als Parteiloser für die CDU antreten wolle, hat er die Möglichkeit dennoch als „unglaubliche Chance“ gesehen, die es zu ergreifen gelte.
Was treibt einen erfolgreichen Werbeprofi dazu, für ein solches Amt kandidieren zu wollen? Für Turner ist es vor allem der Riss, der auch nach der Volksabstimmung über das Projekt Stuttgart 21 quer durch die Stadt geht. „Ich will an der Überwindung dieser Spaltung mitwirken“, sagt der Mann, dessen Agentur Scholz & Friends einst dem umstrittenen Bahnprojekt das Etikett „Das neue Herz Europas“ verpasst hat. Die Kritik an dem Slogan hat er nicht vergessen, und Turner ist selbstkritisch genug einzugestehen, dass der Werbespruch nicht der große Wurf war: „Man kann daraus nur lernen, wie man es besser machen kann.“ Für ihn bleibt allerdings die Kommunikation ein zentraler Aspekt des Milliardenprojekts. „Das ist eine staatliche Bringschuld und keine Holschuld der Bürger“, sagt Turner. Kommunikation dürfe sich nicht im Aufstellen von Baustellenschildern erschöpfen.
Es gebe kein Zurück nach der Volksabstimmung
Zwar macht er keinen Hehl daraus, dass er für den neuen unterirdischen Durchgangsbahnhof ist, weil er der Stadt neue Gestaltungschancen eröffne, aber er umwirbt auch die Projektgegner und verfällt dabei doch ins Politikerdeutsch: Er will sie „mitnehmen“, will sie einladen zu einem Ideenwettbewerb über die Zukunft der Stadt. Schließlich hätten viele Argumente der Stuttgart-21-Skeptiker in der Schlichtung Hand und Fuß gehabt. Jetzt aber, nach der Volksabstimmung, gebe es kein Zurück, sagt er und zitiert Heinrich Heine: „Nicht wir ergreifen eine Idee, sondern eine Idee ergreift uns . . .“ Das Zitat bleibt unvollständig, der Dichter formulierte weiter: „ . . . und knechtet uns und peitscht uns in die Arena hinein, dass wir, wie gezwungene Gladiatoren, für sie kämpfen.“
Als Wahlkampfgladiator eignet sich Sebastian Turner nicht. Seinen Kritikern – ob parteiinternen oder aus anderen politischen Lagern – will er mit Intellekt begegnen: „Ich habe mir vorgenommen, nicht unter die Gürtellinie zu schlagen. Wenn mich einer angreift, dann reagiere ich mit einer Idee.“ Die notwendige Härte für die anstehende parteiinterne Vorausscheidung am 17. März und einen OB-Wahlkampf glaubt er dennoch zu haben. „Die Bedingungen in Stuttgart werden komfortabler sein als manches, was ich schon in jungen Jahren erlebt habe“, sagt er.
In die CDU will er nicht eintreten, auch dann nicht, falls ihn die Mehrheit der Partei im März offiziell zum OB-Kandidaten kürt. Seine Bewerbung versteht er als „Signal“ an Parteilose, sich politisch zu engagieren. Er sei offen für alle demokratischen Milieus, am nächsten fühle er sich aber programmatisch der CDU. In Detailfragen der Kommunalpolitik , das räumt Turner ein, habe er Nachholbedarf: „Auf der Ebene Feinstaub und Olgäleerweiterung habe ich noch deutliche Lücken.“ Auf seine mangelnde Verwaltungserfahrung angesprochen, verweist er darauf, dass er ein Unternehmen mit mehr als tausend Mitarbeitern im In- und Ausland geführt habe. Parteichef Kaufmann sekundiert: „Verwaltungserfahrung war in unserem Kriterienkatalog nicht der zentrale Punkt.“
CDU-Nachwuchs empfängt Turner nicht mit offenen Armen
Das sehen nicht wenige in der Kreispartei anders. Der Chef der Jungen Union (JU) etwa meldete sich am Montag zu Wort und erklärte: „Wir brauchen eine Persönlichkeit mit kommunalpolitischer Erfahrung und Verwaltungskenntnis.“ Diese müsse trotz „eigener parteipolitischer Überzeugungen“ die Gräben in der Stadt schließen können. Das klingt nicht so, als ob Turner vom CDU-Nachwuchs mit offenen Armen empfangen würde, zumal Benjamin Völkel hinzufügt: „Ich bin sicher, dass wir Persönlichkeiten mit überparteilichem Ansehen auch innerhalb der CDU finden.“ Das hört sich stark nach einem Plädoyer für Ex-Sozialminister Andreas Renner oder Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann an – beide genießen bei der JU viele Sympathien.
Apropos Sympathie: aus seiner Begeisterung für den amtierenden Rathauschef macht Sebastian Turner kein Geheimnis. Die Landeshauptstadt stehe in allen Bereichen bestens da, was der Qualität der Amtsführung von Wolfgang Schuster und der guten Organisation und Struktur der Verwaltung geschuldet sei: „So einen wie Schuster könnten sie in Berlin gut gebrauchen.“