Das Oberlandesgericht Stuttgart sieht bei Mercedes und Co. einen „unvermeidbaren Verbotsirrtum“. Käufer dürfen wohl nicht auf Schadenersatz hoffen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat den Käufern von Diesel-Pkw am Donnerstag eine differenzierte Botschaft übermittelt. Für so genannte Thermofenster müssen die Hersteller wohl nicht haften. Dagegen rückten die Stuttgarter Richter eine andere Manipulations-Software in den Mittelpunkt: die bisher kaum bekannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).

 

Der Diesel-Skandal wird immer unübersichtlicher. Zunächst bekamen Dieselkäufer nur Schadensersatz, wenn in ihrem Fahrzeug die sogenannte „Umschaltlogik“ verbaut war. Diese VW-Software erkannte, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befand. Nur dort funktionierte die Abgasreinigung richtig. Der Bundesgerichtshof (BGH) sah darin 2020 eine sittenwidrige Schädigung der Kunden und gewährte Schadensersatz.

An diesem Donnerstag verhandelte mit dem OLG Stuttgart erstmals ein Instanzgericht über die Umsetzung der neuen BGH-Rechtsprechung. Konkret ging es um vier Mercedes-PKW mit den Motoren OM 607 und OM 651. Dabei zeigte sich, dass sich viele Dieselkäufer wohl zu früh gefreut haben.

Das Verfahren ist noch nicht beendet

Die Diesel-Hersteller hätten sich beim Einbau der Thermofenster in einem „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ befunden, sagte der Vorsitzende Richter Thilo Rebmann, „das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg hat bis 2022 jedes Thermofenster durchgewunken.“ Darauf durften die Hersteller, so der Richter, vertrauen, sie handelten also nicht fahrlässig und müssen daher auch nicht haften. Das Verfahren ist allerdings noch nicht beendet.

Anders sieht es bei der KSR-Lösung aus, die es nur in Mercedes-Pkw gibt. Sie sorgt dafür, dass das Kühlmittel nach langem Stillstand langsamer erhitzt wird und so weniger Schadstoffe erzeugt. Wie die ursprüngliche Umschaltlogik funktioniert die KSR-Lösung fast nur auf dem Prüfstand und wurde ebenfalls gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt verheimlicht. Für die Richter ist dies ein starkes Indiz dafür, dass hier eine illegale Abschalteinrichtung und bei Mercedes zumindest Fahrlässigkeit vorliegt. Laut der Bremer Anwältin Ute Irmer sind rund drei Millionen Mercedes-Fahrzeuge mit der KSR-Software ausgestattet.

Die meisten Betroffenen werden kein Geld sehen

Das OLG setzte den Schadensersatz hierfür nach vorläufiger Einschätzung auf zehn Prozent der Pkw-Anschaffungskosten an. Doch auch hier werden wohl die wenigsten Betroffen am Ende Geld sehen. Denn die bisherigen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeugs sind anzurechnen. In den konkreten Fällen beim OLG Stuttgart ergab sich am Ende jeweils ein Schadensersatz von Null Euro. „Mit dieser Rechenmethode werden die Betroffenen wohl in 90 Prozent der Fälle leer ausgehen“, warnte Anwältin Irmer.

Urteile gab es am OLG zunächst noch nicht. Entweder wurde die Klage zurückgezogen oder die Streitparteien wollen auf die vorläufige Einschätzung des Gerichts mit neuen Schriftsätzen reagieren.