Lange stand Werner Faymann in der Flüchtlingspolitik an der Seite Angela Merkels. Doch der österreichische Kanzler steht unter enormem innenpolitischen Druck – und hat eine radikale Kehrtwende vollzogen.

Berlin - Es waren schockierende Bilder: 71 Tote, Syrer meist, fand man Ende August im Burgenland in einer Autobahnparkbucht. Zusammengepfercht wie Vieh in einem Laster, gefahren von dubiosen Schleppern, die sich aus dem Staub gemacht hatten. Dies war – zusammen mit dem Stau von Zehntausenden Flüchtlingen in Ungarn – ein Ereignis, das unter anderem zum länger andauernden Schulterschluss geführt hat zwischen den zwei großen Koalitionsregierungen in Berlin und Wien und namentlich zwischen Werner Faymann (SPÖ), dem österreichischen Bundeskanzler, und Angela Merkel (CDU), der deutschen Regierungschefin. Bei Konferenzen in Wien und Treffen in Berlin kehrte man demonstrativ – „lieber Werner“, „liebe Angela“ – heraus, dass man solidarisch sei. Die Abschottungspolitik des Ungarn Viktor Orban wurde von Faymann damals als Erinnerung „an die dunkelsten Zeiten unseres Kontinents“ gebrandmarkt.

 

Mit den enorm steigenden Zahlen von Österreich durchreisenden, aber eben auch dableibenden Flüchtlingen, wuchs in Österreich aber ein altes Problem: der Druck von rechts. Würde am Sonntag gewählt, käme die FPÖ auf 32 Prozent, was so (SPÖ: 23 Prozent) oder so (ÖVP: 24 Prozent) auf eine Regierungsbeteiligung der Blauen hinausliefe, weil die große Koalition nicht mehr hielte. Damit bekäme es gleich welcher Partner mit einer Führung zu tun, die in Person von Heinz-Christian Strache für keinerlei Kompromiss steht: „Nullzuzug“ ist seine Standardformel.

Hoffen auf den Dominoeffekt

Wohl auch deshalb rügt nun der österreichische Außenminister Sebastian Kurz massiv ein mangelndes Entgegenkommen der europäischen Partner und deutsche Tatenlosigkeit. Kurz ist sich mit dem innenpolitisch unter Druck stehenden Faymann Anfang des Jahres einig geworden ist, dass es eine Obergrenze in Österreich geben müsse. Faymann nennt sie Richtwert – und kommt rechnerisch auf eine Zahl von 37 500 Menschen im Jahr, die verkraftbar seien. Diese Forderung (und der gleichzeitige Aufbau eines Zauns im steiermärkischen Spielberg) kam aus dem Nichts – und war weder mit Deutschland noch mit Brüssel richtig abgesprochen.

Österreich hofft jetzt auf einen Dominoeffekt: Auf einer Konferenz mit den Staaten des Westbalkans wurde in Wien die Losung ausgegeben, den Migrationsfluss über die Balkanroute massiv zu reduzieren. Die Reaktion aus dem Kanzleramt auf diesen radikalen Kursschwenk und den damit einhergehenden Verlust des letzten verbliebenen Partners in Europa war frostig. Man sei vom „jetzt eingeschlagenen Weg nicht überzeugt“, sagte Kanzleramtschef Peter Altmaier. Griechenland drohe unter dem Druck zu zerbrechen, heißt es in Berlin. Und der Balkan, der vor noch nicht allzu langer Zeit von einem Krieg erschüttert wurde, könnte bei einem länger andauernden Rückstau wieder destabilisiert werden.

Merkel soll Wien eine Obergrenze melden

Die CSU freilich wird sich bestätigt fühlen. Denn Faymann und Kurz haben ja nicht allein angekündigt, nur noch 80 Flüchtlinge täglich aufzunehmen. Sie haben mit der Ansage, bis zu 3200 Menschen nach Deutschland weiterzuleiten, Merkel auch faktisch eine Obergrenze aufgezwungen, die freilich aus deutscher Sicht viel zu großzügig bemessen ist. Es stehe, so Kurz, der Kanzlerin aber jederzeit frei, eine andere Zahl zu setzen. Eine Obergrenze hat Merkel bisher jedoch immer vermieden.

Österreich arbeitet also an jenem Plan B, den Merkel ablehnt: für Flüchtlinge notfalls weitgehend geschlossene EU-Binnengrenzen und eine Ausgrenzung Griechenlands aus dem Schengen-Raum, weil sich dieses als nicht willens und nicht in der Lage erweise, die EU-Außengrenze zu sichern.