Olympia 2022 Die Dominanz im Eiskanal kaschiert deutsche Defizite
Das Team D belegt Rang zwei im Medaillenspiegel hinter Norwegen. Nun will der deutsche Sport durch eine Olympiabewerbung für neuen Schwung sorgen.
Das Team D belegt Rang zwei im Medaillenspiegel hinter Norwegen. Nun will der deutsche Sport durch eine Olympiabewerbung für neuen Schwung sorgen.
Peking - Es ist üblich bei Olympischen Spielen, in aller Ruhe ein Resümee zu ziehen. Nicht in der Hektik der letzten Stunden, sondern am Tag vorher – was allerdings die Gefahr birgt, dass doch noch Unerwartetes geschieht. So wie diesmal, als die Skirennfahrer im finalen Wettbewerb endlich die Kurve kratzten und Silber im Mixed-Team holten. Das schönte d ie Bilanz des Alpin-Teams, an der Gesamtbetrachtung änderte sich dadurch aber, so ehrlich muss man sein, nicht mehr viel. Denn das Bild hatte vorher schon klare Konturen.
„Wir haben ein großartiges Team D gesehen“, meinte Thomas Weikert, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Und sein Chef de Mission Dirk Schimmelpfennig sagte: „Wir haben uns sehr gut präsentiert.“ Vor allem dank eines Verbands.
Hinter Norwegen (16x Gold/8x Silber/13x Bronze) folgte Deutschland (12/10/5) im Medaillenspiegel an Position zwei. Das war eine starke Leistung – zuvorderst im Eiskanal. Drei Viertel der Goldmedaillen und fast 60 Prozent (!) aller Plaketten sammelte das Team D im Rodeln (4/2/0), Bob (3/3/1) und Skeleton (2/1/0). Oder anders ausgedrückt: Hätte alleine der Bob- und Schlittenverband Medaillen für Deutschland gewonnen, es wäre trotzdem Rang zwei in der Nationenwertung geworden. Vor Gastgeber China (9/4/2). Eine eindrucksvolle Dominanz. Aber auch eine, die viel kaschiert.
Die Langläuferinnen erlebten dank der Teamsprint-Olympiasiegerinnen Katharina Hennig und Victoria Carl sowie Staffel-Silber glänzende Spiele, dazu kamen die Gold-Triumphe von Biathletin Denise Herrmann und Kombinierer Vinzenz Geiger. Doch in vielen Sportarten gehört Deutschland nicht mehr oder noch nicht zur Weltspitze: im Eisschnelllauf und Shorttrack (23 Wettbewerbe), im Eiskunstlauf, im Curling, aber auch in den hippen Disziplinen in der Halfpipe, im Slopestyle-Parcours und auf der Big-Air-Schanze, egal ob mit Skiern oder Snowboard. Neben den Langläufern gingen auch die Biathlon-Männer (je sechs Wettbewerbe) leer aus, die Snowboarder ebenfalls. „Das müssen wir uns nun genau anschauen“, meinte Dirk Schimmelpfennig, der Leistungssportchef des DOSB, der für die Zukunft auf das Potenzialanalysesystem (PotAs) und Strukturgespräche setzt: „Danach nehmen wir Kurs auf die nächsten Winterspiele.“ Ob das reicht?
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Offen ließ Schimmelpfennig, wer künftig mit wie viel Geld gefördert wird. Klar ist: Die Ausbeute in China ist nicht das alleinige Kriterium. Der DOSB-Funktionär stellte zum Beispiel dem Eisschnelllauf- und Shorttrack-Verband („Es gibt eine gute Infrastruktur, hier muss mit Blick auf 2026 und 2030 Aufbauarbeit geleistet werden“) und Snowboard Germany („Hier ist Potenzial vorhanden“) weitere Unterstützung in Aussicht. Und zugleich hofft der Dachverband, durch ein Großprojekt Aufbruchstimmung im deutschen Sport auslösen zu können.
Weikert sprach jedenfalls nicht nur davon, möglichst rasch die Folgen der Pandemie für den Breitensport überwinden zu müssen („Da gab es Kollateralschäden“). Das große Ziel des DOSB-Chefs ist zudem eine Bewerbung um Olympische Spiele. Dabei konnte er sich einen Seitenhieb auf seinen Vorgänger Alfons Hörmann nicht verkneifen. „Wir haben hier in China eine Unmenge an Gesprächen geführt. Der einhellige Tenor ist gewesen, dass Deutschland von der internationalen Bühne verschwunden war“, sagte Weikert, „wir sind ein wichtiges Land für den Sport und verpflichtet, uns zu präsentieren.“ Mit einem Konzept für nachhaltige Spiele. „Es ist an der Zeit, vernünftig, langsam und sorgfältig eine Bewerbung auf den Weg zu bringen. Vielleicht ist 2030 zu früh, aber danach steht alles offen.“ Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Zuerst einmal muss es gelingen, die Bevölkerung in Deutschland nicht nur vor die Bildschirme zu locken (die TV-Quoten von Peking 2022 waren sogar höher als von Tokio 2021), sondern auch Begeisterung für eine Bewerbung zu wecken. Zuletzt fielen die Nachhaltigkeitskonzepte für München 2022 (Winter) und Hamburg 2024 (Sommer) in Bürgerreferenden durch. Und sollte es doch gelingen, die Skepsis abzubauen, gibt es noch andere Hindernisse.
Vergeben sind bereits die Sommerspiele Paris 2024, Los Angeles 2028 und Brisbane 2032. Sich 2036 zu versuchen, genau 100 Jahre nach den Nazispielen in Berlin, dürfte keine gute Idee sein. Im Winter steht Mailand 2026 fest, für 2030 hat sich Sapporo positioniert, auch Vancouver und Salt Lake City wird Interesse nachgesagt. Und es sollte keinen wundern, wenn das IOC Gefallen an der Idee finden würde, 2034 erstmals mit Winterspielen nach Südamerika zu gehen. Wo da Platz sein soll für Deutschland, ist offen. Doch Weikert kann das nicht schrecken. „Wenn wir uns für eine Bewerbung entscheiden“, sagte er, „werden wir das auch hinbekommen.“
In aller Ruhe.