Während in Deutschland schon wieder eine Diskussion um die angeblich zu karge Medaillenausbeute ausgebrochen ist, arrangiert sich unser Nachbarland einigermaßen mit einer zu erwartenden Nullrunde.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - In „Match Point“, einem brillanten, sehr schwarzen Film von Woody Allen, der nicht zufällig in London spielt, sieht man am Anfang, wie ein Tennisball mit Wucht eine Netzkante trifft, um in die Höhe zu springen. Wohin fällt der Filz? Wird die Niederlage eingeleitet oder der Sieg vorbereitet? Woody Allen hält alles in der Schwebe – und den Ball in der Luft. Das Bild bleibt stehen. Dann kommt ein Schnitt. Viele Minuten später wiederholt sich die Szene in einem anderen Umfeld. Das ist, als der ehemalige Tennisspieler und nunmehr erfolgreiche Geschäftsmann Chris Wilton ein paar Sachen in der Themse verschwinden lassen will, die er mitgenommen hat, als er zuvor einen zweifachen Mord beging (unter anderem an seiner Geliebten), um doch noch zu retten, was ihm wichtiger erscheint als sein Verhältnis: Karriere, Ehe und soziale Stellung.

 

Unter dem ganzen Krempel ist ein Ring. Er springt im Flug auf dem Geländer auf. Wieder wird der Moment eingefroren. Dann fällt der Ring nicht in den Fluss, sondern aufs Trottoir. Später findet die Polizei – die Chris Wilton wegen der Morde stark im Verdacht hat - den Ring bei einem Junkie, da scheint der Fall gelöst. Der Mörder kommt davon. Warum schaut man das an? Weil man nicht weiß, wie’s ausgeht, und weil Woody Allen einem auf gleichzeitig großartige und beklemmende Weise klar macht, dass es eben auch anders hätte ausgehen können. Im Sport, wo es, wenn alles im Rahmen bleibt, nicht um Leben und Tod geht, sondern um das fassbare Mini-Drama Sieg oder Niederlage, entscheidet auch immer wieder die Netzkante. Nichts lässt sich ganz genau berechnen.

Und alle Voraussagen können buchstäblich über den Haufen geworfen werden. Von „einem Wackler“, wie der der Kanute Ronald Rauhe nach den 200-Metern im Zweier sagte. Er war, gemeinsam mit Jonas Ems, als so genannte Goldhoffnung gestartet - und abgeschlagen angekommen. Ein Wackler. Ein Stolperer. Die Netzkante. Es ist der menschliche Faktor in einer Welt, in der die Maschinen sehr genau ausrechnen können, was alles möglich wäre, wenn nur alles stimmte. So viel zum deutschen Medaillenplan, den sich das Innenministerium hatte vorlegen lassen. In Österreich ist der Sport beim Verteidigungsministerium angesiedelt, von wo aus, dächte man, sich doch bestimmt besser arrangieren ließe, was auf Medaillen versessene deutsche Politiker jetzt fordern: mehr Sportsoldaten, professionellere Verhältnisse, mehr Druck. Allein: sollte, sagen wir, Elisabeth Osl mit dem Mountainbike oder Günther Weidlinger im Marathon der Männer nicht doch noch was rausreißen, geht Österreich, wie man dort sagt, ohne Stockerlplatz aus.

Malta und Luxemburg darben ganz ähnlich

Und, hei: das gab’s seit 1964 in Tokio nicht mehr. 1964! Außer Österreich gibt es in der EU überhaupt nur zwei Staaten, die ähnlich darben, Malta und Luxemburg (wenn sie darben). Indessen hat der Wiener „Standard“ dieser Tage netterweise sehr sachlich festgehalten, die in London Viert- und somit Bestplatzierten bis jetzt (Beach-Volleyballer, Schwimmer, Segler) hätten „weder enttäuscht, noch waren sie es“. Das würde man gerne öfter hören von zwar geförderten, aber hoffentlich wohl doch noch selbstbestimmten Sportlern. Und Sätze wie die der Linzerin Viktoria Schwarz. Sie war mit ihrer (in Deutschland geborenen) Partnerin bei den 500 Metern auf den fünften Platz gepaddelt: „Der fünfte Platz“, sagte Schwarz hernach, „war das realistische Ergebnis. wir sind mit dem Rennen sehr zufrieden, denn wir haben uns seit Peking um vier Plätze gesteigert.“ Dass sie Weltmeisterinnen 2011 geworden seien, habe nur die Öffentlichkeit als quasi automatisches Anrecht auf olympisches Gold interpretiert.

Eine bemerkenswerte Aussage. Ansonsten haben die Österreicher, so, wie es sein soll, vor allem ihr Land gut repräsentiert. Sie sind nicht aus- und auffällig geworden, waren freundliche Botschafter ihres Sports - und Kommunikation ging ihnen über alles. Solches Verhalten freilich hat dem zuständigen SPÖ-Verteidigungsminister, Norbert Darabos, nun wieder nicht gefallen. Darabos meinte, er könne verzichten auf Sportler, denen es vor allem auf die Atmosphäre im Olympischen Dorf ankomme. Das gehe, so Darabos weiter, „am Beruf vorbei“. Wie war das noch mit dem Dabeisein? Aber zwischen der geheuchelten Sonntags- und der lobbyistischen Brandrede liegen halt Welten. Im Übrigen mag sich Darabos trösten. Bald schneit es wieder. Und im Schnee schaut der österreichische Sport bekanntermaßen ganz anders aus.