Auf dem Podest, mit den Medaillen in der Hand, wurden die Gesichtszüge der drei italienischen Florettfechterinnen wieder weicher. Pierre de Coubertin hätte etwas dagegen gehabt.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Als die drei italienischen Florettfechterinnen in London mit ihren Medaillen auf dem Podium standen, wurden ihre Gesichtszüge ganz langsam wieder weicher, und die Augen glänzten ein wenig. Aber zuvor hatte man sehen können, was äußerste Anspannung unter der Glocke bedeutet: immer, wenn der Gesichtsschutz herunter gerissen wurde, schaute man auf Antlitze, wie gemeißelt im Moment der Freude oder der Enttäuschung: halb mythische Figuren, halb hypermoderne Kämpferinnen.

 

Zu Beginn der Spiele der Neuzeit, 1896 in Athen, waren Frauen nicht zu gelassen, weil Pierre de Coubertin, der Hauptorganisator, zunächst ein Aber gegen öffentlich sich messende Damen hatte. Erst in Paris, vier Jahre später, wurde Frauensport erlaubt, allerdings gestand man ihnen lediglich die Disziplinen Tennis und Golf zu. Coubertin war geprägt vom deutsch-französischen Krieg 1870/71. Eben jener Nationalismus, den die Olympischen Spiele in idealer Weise ein wenig zu überwinden helfen sollten, war ihm keinesfalls fremd. Mit 25 Jahren schreibt Coubertin ein Buch über die Vorzüge der Erziehung in englischen Schulen und Internaten, wo Geist und Körper sich seiner Meinung nach nicht ausschließen, was wiederum begründe, warum das Empire das Empire geworden sei.

Theoretisch ist Coubertin vor allem von Friedrich Hölderlins Lyrik angetan, die ja, wie Pierre Bertaux nachgewiesen hat, häufig tatsächlich beim schnellen Gehen entstanden ist. Was seine internationalen Sportspiele bewirken sollten, darauf kommt Coubertin ausgerechnet nach einem Besuch von den Bayreuther Festspielen, wie er später in den „Olympischen Erinnerungen“ festgehalten hat: „Musik und Sport sind für mich immer die vollkommensten ,Isolatoren‘ gewesen, die fruchtbarsten Mittel der Besinnung und des Schauens ebenso wie mächtige Anreize für die Ausdauer und , Massagen der Willenskraft‘. Mit einem Wort: nach Schwierigkeiten und Gefahren erweisen sich alle unmittelbaren Besorgnisse als zerstreut.“

Wer Biedermann gesehen hat, wird nicht mehr mit sich hadern

Und noch einmal mit andren Worten: wer Paul Biedermann im Vorlauf über 400 Meter Kraul hat halb untergehen sehen, wird nicht mehr groß mit sich hadern, wenn er seine angestrebten Bahnen im Bassin nicht zusammenbekommt. Und wer Wagners Amfortas vernimmt, dessen Wunde sich im „Parsifal“ partout nicht schließen will, mag entspannter mit undramatischeren eignen Blessuren umgehen. Nicht ganz in Coubertins Sinne, aber doch immer wieder beeindruckend, ist die legendäre Lockerheit, mit der viele damals noch als Privatsportler angereiste Teilnehmer in Athen 1896 zu Werke gingen: als ein Ire namens John Pius Boland, seinerzeit Student in Bonn, das Tennisturnier gewonnen hatte, sah er sich der Gaudi wegen noch nach einem Doppelpartner um. Er fand den deutschen Läufer Fritz Traun. Kein klassischer Winner mit dem Schläger zu diesem Zeitpunkt, aber es würde schon gehen. Wenig später gewannen Boland/Traun Athen und Gold.