Ein Abflauen des Wachstums im Online-Handel ist nicht abzusehen. Doch auch stationäre Geschäfte können vom Trend zum Shoppen übers Internet profitieren, wenn sie sich richtig aufstellen.

Stuttgart - Im Internet gibt es weder schlechtes Wetter noch überfüllte Parkhäuser. Daheim mit einer Tasse Tee und dem Laptop auf dem bequemen Sofa droht anders als in der Fußgängerzone auch kein Gedränge und kein spontaner Schweißausbruch. Die Produkterklärung findet sich im Netz, man muss nur den richtigen Suchbegriff eingeben. Bezahlen ist mit wenigen Klicks erledigt und die hübsche Geschenkverpackung nur einen weiteren Klick entfernt. An dieser Stelle kann die Frage, wie die Geschenke am stressfreisten zu besorgen sind, mit einem Wort beantwortet werden: online.

 

In der Tat erwartet die Gesellschaft für Konsumforschung für das Weihnachtsgeschäft 2013 einen neuerlichen Anstieg der Internetkäufe. Oliver Janz rechnet sogar mit einem anhaltend hohen Wachstum des Onlinehandels in den kommenden fünf bis zehn Jahren. Der Wirtschaftswissenschaftler von der Dualen Hochschule Mosbach stützt seine Prognose vor allem auf die online-affine nachwachsende Generation, die sich stärker denn je für innovative Angebote aus dem Netz begeistern lasse. Eine Grenze sieht Janz erst bei einem Online-Anteil am Einzelhandelsumsatz von 15 bis 20 Prozent am Horizont aufscheinen. Momentan sind es knapp acht Prozent. Ähnlich sehen es viele andere Experten. Dem Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFA), Kai Hudetz, genügt zu einer ersten Einschätzung der Blick über den Atlantik: „Selbst in den USA wächst der Online-Anteil noch erheblich.“

E-Commerce stellt die Branche auf den Kopf

E-Commerce, also der Handel mit Waren über elektronische Medien, hat die gesamte Branche innerhalb von wenigen Jahren auf den Kopf gestellt. Eine Branche, die ohnehin einem intensiven Strukturwandel unterworfen ist, geprägt von Internationalisierung und Konzentrationswellen, einer rasanten Flächenexpansion und heftigen Preisschlachten. Und das alles in einem Umfeld, in dem die Menschen gemessen an den allgemeinen Konsumausgaben immer weniger für Waren des Handels ausgeben.

Die Gewinner in der neu geordneten Handelslandschaft sind große Internetversender wie Zalando und Amazon mit exorbitanten Zuwachsraten. Gerade in umsatzstarken Bereichen wie Kleidung und Elektronik habe der Onlinehandel gegenüber dem stationären Geschäft einen großen Vorteil, erläutert Janz: „Die Sortimentsvielfalt und die Geschwindigkeit, mit der neue Dinge auf den Markt kommen, macht es den Händlern immer schwerer, die Produkte auf der Fläche in Hunderte von Märkten zu verteilen.“ Die ersten Jahre des Internethandels waren von einer Verschiebungen vom klassischen Versandhandel hin zum Internet-Geschäft bestimmt. Nachdem Kataloge wie Quelle oder Neckermann vom Markt verschwunden sind, gehen die Online-Zuwächse nun zu Lasten des stationären Handels. „Die Händler müssen sich darauf einstellen, dass dies noch jahrelang so weitergeht“, sagt Hudetz. Wer nichts tut, könnte selbst schon bald Geschichte sein.

Der Klage vieler Händler, mit einem Onlineshop würden sie ihr eigenes Geschäft kannibalisieren, hält der IFH-Chef entgegen, dass praktisch alle Studien zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen: Rund 80 Prozent der Umsätze eines zusätzlichen Onlineshops sind Neugeschäft, nur der Rest wird dem klassischen Geschäft entzogen. Konzerne wie die erst 2011 in den Onlinemarkt eingestiegene Metro-Tochter Media-Saturn haben noch Luft nach oben.

Händler kämpfen gegen den Verlust von Marktanteilen

Das Internet muss also nicht per se schlecht für das Geschäft der Warenhäuser und Geschäfte in den Fußgängerzonen sein. „Mit der konsequenten Verzahnung von Vertriebswegen haben die klassischen Händler sogar einen Vorteil gegenüber den reinen Online-Versendern. Sie müssen ihn nur nutzen, um dem Kunden einen Mehrwert zu bieten“, erklärt Hudetz. Janz formuliert es vorsichtiger: „Marktanteile von Amazon zurückzugewinnen ist schwierig. Aber die Händler können verhindern, dass ihr eigener Marktanteil weiter schrumpft.“

Die Zauberformel lautet Multi- oder Cross-Channel und meint die verschiedenen Kanäle, auf denen ein Produkt seinen Käufer findet, und deren Kombination. „Verglichen mit den USA oder Großbritannien stehen wir dabei erst am Anfang“, so Hudetz. Cross-Channel sei viel komplexer als reiner Online-Handel, aber richtig gemacht wesentlich nachhaltiger. Dem Kunden müsse möglichst oft die Wahl geben werden: stationär oder online informieren; hier oder da erwerben; im Laden kaufen, aber liefern lassen oder zurückschicken.

Ein Blick in die stationäre Einkaufswelt der Zukunft

Der Leiter des privaten Forschungsinstituts beschreibt, wie sich der stationäre Einzelhandel verändern könnte: Es werde weniger Fläche geben und höher qualifiziertes Personal in den Geschäften, das mit mehr Spielräumen etwa in der Preisgestaltung ausgestattet sei. Zudem werde Frequenz wichtiger denn je. „Der Trend geht zu kleineren Standorten in Hochfrequenzlagen, um Cross-Channel-Konzepte umzusetzen.“ Dieser Ansicht ist auch der Wirtschaftsprofessor Janz: Unattraktive B- und C-Lagen außerhalb der Stadtzentren würden immer weniger frequentiert und schließlich von den Händlern verlassen. Das Bild von leer stehenden Ladenlokalen könnte dort zur Regel werden.

Eindeutig auf der Seite der Verlierer stehen auch kleine, inhabergeführte Läden und Händler mit wenigen Filialgeschäften, deren Marktanteile schon seit Jahren dramatisch abnehmen. „Sie werden weiter verlieren, weil sie die neuen Anforderungen in vielen Fällen einfach nicht stemmen können“, sagt Janz. Das Dilemma dieser Händler sei, dass sie sich entweder selbst Onlineshops aufbauen müssten oder alternativ ihre Waren auf bereits vorhandenen Verkaufsportalen anbieten: „Entweder sie zahlen viel Geld an Google, damit Kunden von der Suchmaschine auf ihre Seite gelotst werden, oder sie zahlen viel Geld an Amazon.“ Als falsch habe sich der Ansatz erwiesen, nur ein paar Dinge ins Internet zu stellen, von denen der Händler glaubte, dass sie sich gut verkaufen, damit er eine niedrige Rücklaufquote hat: „Der Kunde will nicht nur ein paar Produkte haben, sondern möglichst alle, am besten noch mehr als er im Geschäft kaufen kann.“

Bei Zalando wird zurückgesendet was das Zeug hält

Zalando ist dabei am konsequentesten vorgegangen. Seit 2008 wird bestellt, anprobiert und zurückgeschickt was das Zeug hält, zunächst nur Schuhe, mittlerweile Mode aller Art. Heute ist das Unternehmen in gut einem Dutzend europäischen Ländern vertreten und setzte zuletzt knapp 1,2 Milliarden Euro um. Die Retourquote liegt nach Firmenangaben bei 50 Prozent.

Nicht nur in den Fußgängerzonen, auch bei den reinen Online-Händlern werde der Konzentrationsprozess noch sehr viel stärker voranschreiten, ist Hudetz überzeugt. „Die Großen der Branche werden weiter wachsen, für ihre Konkurrenten wird es immer schwerer sich dagegen zu positionieren.“ Für weite Teile der Branche gelte: „Es mag in Deutschland einen Bedarf für Hunderte von stationären kleinen Spezial-Shops geben. Im Online-Bereich sehe ich mittelfristig aber für viele Spezialbranchen neben Amazon nur sehr wenige Anbieter.“

Onlinewelt und klassischer Handel verschmelzen

Wie Onlinewelt und klassischer Einzelhandel allmählich miteinander verschmelzen, ist in einer IFH-Studie zum Cross-Channel-Verhalten von Konsumenten untersucht worden. Die Forscher haben „die Informationssuche in Online-Shops vor dem Kauf im stationären Handel“ als Megatrend ausgemacht. Online gesucht, offline gekauft – das trifft mittlerweile auf mehr als jeden dritten stationären Einkauf zu. Die Geschäfte erwirtschaften mit solchen Verkäufen sogar mehr als die Hälfte ihrer Umsätze. Dagegen nimmt der Einfluss des stationären Handels auf Bestellungen im Internet weiter ab, was auf ein wachsendes Vertrauen in die Online-Shops hindeute: „Online ist der neue Showroom“, sagt IFH-Geschäftsführer Hudetz.

Gibt es überhaupt die Aussicht auf eine Entschleunigung des Online-Booms? Die Studie deutet es zumindest an: „Die Konsumenten wechseln vor allem deshalb in den stationären Handel, weil sie dort die Produkte vor dem Kauf anfassen oder ausprobieren können und sie auch direkt mitnehmen können.“ Aktuell könne keine noch so gute Produktbeschreibung oder Detailfotografie „den elementaren Vorteil der haptischen Inspektion schlagen, den der stationäre Handel bietet“. Vom Sofa aus lässt sich zwar bequem shoppen, das echte Einkaufserlebnis gibt’s aber nur im Laden.