Bitcoins, virtuelle Münzen, sind nach einem Kurshoch zuletzt abgestürzt. Es wird gestritten: Ist das ein neuer Goldstandard oder lediglich ein Spekulationsobjekt?

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Stuttgart - Schon wieder ist eine Illusion geplatzt. Wer auf der Suche nach einer sicheren Geldanlage auf die Online-Währung Bitcoins gesetzt hat, erlitt in den vergangenen Tagen eine herbe Enttäuschung: Nach einem rasanten Anstieg im Gefolge der Zypernkrise ist der Kurs der virtuellen Münzen um mehr als die Hälfte eingebrochen. Nachdem auf der wichtigsten Handelsplattform Mount Gox noch vergangene Woche Spitzenpreise von bis zu 266 Dollar (203 Euro) pro Bitcoin erzielt worden waren, notierte das elektronische Geld zuletzt bei weniger als 100 Dollar.

 

Prominente Opfer des Kurseinbruchs in der vergangenen Woche wurden die Zwillinge Tyler und Cameron Winklevoss, ehemalige Geschäftspartner und spätere Kontrahenten von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Die Winklevoss-Brüder haben mit Hilfe von Facebook-Aktien Hunderte Millionen Dollar verdient; einen Teil davon investierten sie in Bitcoins. Laut „New York Times“ waren die virtuellen Münzen der Zwillinge unmittelbar nach dem Kurssturz noch elf Millionen Dollar wert – mindestens die gleiche Summe dürften sie also verloren haben. Cameron Winklevoss reagierte gelassen: „Virtuelle Währungen sind gekommen, um zu bleiben. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase“, zitierte ihn die „Times“. Für die Zwillinge ist das Bitcoin-Engagement unter dem Strich noch immer ein gutes Geschäft. Denn sie investierten bereits im vergangenen Sommer in das Projekt, als die Online-Währung noch bei rund 20 Dollar notierte und jenseits des Kreises der Computerfreaks kaum Interesse fand.

Ein „neuer Goldstandard“ ist geboren

Das erst 2009 ins Leben gerufene Zahlungsmittel wird von seinen Fans als Chance für ein von politischen Einflüssen und der Kreditwirtschaft unabhängiges Währungssystem gepriesen. Der Name Bitcoin setzt sich aus dem Begriff Bit für die kleinste elektronische Speichereinheit und dem englischen Wort Coin für Münze zusammen. Diese Bezeichnung verrät: die virtuellen Münzen bestehen aus Zahlencodes, die auf Computern gespeichert sind beziehungsweise beim Bezahlen zwischen zwei Rechnern transferiert werden. Diese Codes entstehen durch die Lösung komplexer Rechenaufgaben durch ein Netzwerk aus Computern interessierter Teilnehmer. Dafür ist eine hohe Rechenleistung erforderlich. Obendrein halbiert sich alle vier Jahre die Zahl der Bitcoins, die einem Nutzer für die Lösung einer Aufgabe gutgeschrieben werden. Dadurch können maximal 21 Millionen virtuelle Münzen erzeugt werden.

Der Erfinder des Bitcoin-Konzepts, ein Entwickler mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto, habe damit praktisch einen „neuen Goldstandard“ geschaffen, schrieb Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman Ende 2011. Denn so wie früher die großen Währungen durch Goldreserven gedeckt waren, sind auch Bitcoins endlich.

Zypern sorgt für Hochkonjunktur

Krugman warnt ebenso wie viele andere Experten auch, dass solche begrenzten Währungssysteme die Gefahr einer Deflation mit sich brächten (siehe Interview). Doch da die lockere Geldpolitik der großen Notenbanken aktuell eher Inflationsängste schürt, wirken Bitcoins auf viele Menschen durchaus attraktiv. Jedenfalls stieg in den vergangenen Monaten die Nachfrage nach den rund elf Millionen virtuellen Münzen, die seit 2009 geschaffen wurden. Sie werden über Online-Börsen gehandelt. Der bereits im Februar begonnene Kursanstieg beschleunigte sich kurz nach der umstrittenen Entscheidung der Euroretter, an der Sanierung zyprischer Banken auch die Kontoinhaber zu beteiligen. Vor allem in Spanien wurden danach vermehrt Softwareprogramme aus dem Internet heruntergeladen, die den Handel mit Bitcoins ermöglichen. Dieses Phänomen löste wiederum eine Flut von Medienberichten aus, die ihrerseits das Interesse an der neuen Währung befeuerten. Der rasante Kursanstieg wiederum führte dazu, dass erste Anleger Kasse machten –„das Platzen der Blase war unausweichlich“, schreibt der Commerzbank-Währungsexperte Ulrich Leuchtmann in einer Analyse.

Verschärft wurde der Einbruch durch technische Probleme beim weltgrößten Handelsplatz Mount Gox, der in der vergangenen Woche vorübergehend geschlossen werden musste. Die Betreiber der japanischen Online-Börse teilten anschließend mit: „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs geworden.“ Im April seien täglich 75 000 neue Konten eröffnet worden, die Zahl der Transaktionen habe sich in den Stunden vor dem Absturz verdreifacht. Dies habe das Handelssystem überfordert und zum Stocken gebracht, was Panikverkäufe ausgelöst habe. Unter der Last dieser Massenflucht sei der Server dann zusammengebrochen.

Bezahlt wird mit Bitcoins nur in Ausnahmefällen

Die marktbeherrschende Stellung von Mount Gox sei ein echtes Problem, kommentierte der IT-Experte Rick Falkvinge in einem Blog. Der Gründer der schwedischen Piratenpartei will seine Bitcoins dennoch behalten – „für Jahrzehnte“. Auch der Geschäftsführer des deutschen Handelsplatzes bitcoin.de, Oliver Flaskämper, wirbt weiter unverdrossen für die virtuelle Währung: „Trotz allem bleibe ich bei meiner Aussage, dass der Bitcoin-Kurs langfristig (eigentlich) nur steigen kann“, schrieb er kurz nach dem Crash. Zur Begründung verweist er auf die Mengenbegrenzung und die wachsende Zahl an Akzeptanzstellen. Neben einer Vielzahl von Online-Shops weltweit gibt es beispielsweise in Berlin auch einzelne Cafés und eine Pension, die Bitcoins annehmen. Um Offline-Zahlungen zu ermöglichen, bietet ein US-Unternehmen sogar Münzen mit einem „B“ in physischer Form an – mit eingeprägtem Code für den Abruf des virtuellen Originals.

Nur wenn Bitcoins vermehrt für Bezahlvorgänge genutzt würden, könnten sie tatsächlich zu einer Art Nebenwährung aufsteigen. „Ohne Transaktionsnachfrage bleiben Bitcoins eine spekulative Blase. Denn anders als eigentliches Warengeld stiftet ihr Besitz keinen direkten Nutzen“, meint Commerzbank-Analyst Leuchtmann. Allerdings könnte eine zunehmende Nutzung auch neue Probleme bringen. Diebstähle durch Hackerangriffe hat es schon mehrfach gegeben, die US-Bundespolizei FBI sieht für Kriminelle noch mehr Möglichkeiten: Da Bitcoin-Zahlungen ohne Bankkonto und damit weitgehend anonym abgewickelt werden können, seien sie attraktiv für „Geldwäscher, Menschenhändler und Terroristen“.

Ein Verbot wäre keineswegs nur negativ

Bitcoin-Befürworter Oliver Flaskämper schließt vor diesem Hintergrund nicht aus, dass Regierungen einzelne Handelsplätze schließen und damit neue Kursstürze auslösen könnten. Doch selbst diesem Szenario kann er etwas Positives abgewinnen: „Letztlich wäre ein Verbot indirekt ein Beleg dafür, dass das Bitcoin-System funktioniert und großes Potenzial hat.“