Opernpremiere „Die Frau ohne Schatten“ in Stuttgart Szenen zweier Ehen

Fruchtblase mit schwangeren Männern (v. li.): Benjamin Bruns (Kaiser), Iréne Theorin (Färberin), Michael Nagl (Bote), Simone Schneider (Kaiserin), Martin Gantner (Barak). Foto: Matthias Baus/Matthias Baus

Die erste biopolitische Oper der Musikgeschichte: „Die Frau ohne Schatten“ in Stuttgart. Regisseur David Hermann drückt sich um die reaktionäre Botschaft des Stücks herum, indem er die Menschheit für ausgestorben erklärt. Dafür klingt es aber verdammt gut.

Georg Büchners nette Zote von der „Zeit, wo die Perpendikel unter den Bettdecken ausschlagen“ hätte am Ende des ersten Akts der „Frau ohne Schatten“ ein feierliches Echo, wenn ein Nachtwächtertrupp eine Fortpflanzungsenzyklika in die Schlafzimmer posaunt: „Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt, / ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt, / auf der die Toten wiederum ins Leben gehen.“ Eine Art seelenwandernder Kreisverkehr durchs Ehebett, deshalb (Brems-)Gummi weglassen. Pille gab’s eh noch nicht.

 

Aber dank Richard Strauss wäre sowieso beides überflüssig. In seinem bräsigen As-Dur schlägt garantiert nichts aus, eher schläft was ein, nämlich der spießbürgerliche Schnarchsack. Ironie? Vielleich versteckten die Herren Strauss und Hugo von Hofmannsthal in den fetten Symbolschwarten ihrer Oper auch einen etwas lang geratenen Herrenwitz – über frustrierte Frauen, eitel-eifersüchtige Gockel, bis zur Verblödung gutmütige Trottel. Projektionen zwischen Männerphantasie und Diagnose. Das schreit nach Therapie, was sich im Mysterien- als Hysterienspiel entschleiert: Szenen zweier Ehen, hier zartes Lichtgeschöpf ohne Schatten, vom kaiserlichen Gatten jede Nacht begattet, ein lebendes, aber steriles Sexspielzeug, nymphoman und frigide gleichzeitig; dort die Verbitterte, voller Verachtung für ihren älteren Mann, voller Abneigung gegen Mutterschaft, voller erotischer Phantasien, deren Realisierung sie sich nicht traut. Nicht besser das andere Geschlecht: der Kaiser ein empathieloser Egomane, der Färber Barak mit manischem Harmoniebedürfnis seine Impotenz kompensierend.

Der Mann mit Schatten: Sigmund Freud

Sigmund Freud ist der Mann mit Schatten, in den Hofmannsthal seine Fin-de-siècle-Pathologie stellt. Nur sind über die gepflegten Neurosenbeete bis zur Uraufführung 1919 die Stiefel des Ersten Weltkriegs und eine gesellschaftliche Emanzipationsbewegung getrampelt. In der veränderten Situation läutet die finale Läuterung eine stramm reaktionäre Alarmglocke: Frauen, zurück zur Mutterrolle! Wenn aber im ersten Akt die Sardinen in der Pfanne zum Klagechor ungeborener Kinder mutieren und vom Strauss’schen Orchester als Fötusfisch an Celesta serviert werden, stellt sich ernsthaft die Frage, ob das Ganze nicht doch ein Jux ist.

Könnte man sich jedenfalls daraus machen. David Hermann, Regisseur der Neuinszenierung im Stuttgarter Opernhaus, tut es nicht. Auch interessiert er sich kaum für die Boulevardkomödie im Erlösungsdrama. Zu unentschieden schiebt er die Akteure in gemächlichem Schreittheater über die Bühne. Figurenzeichnung gelingt en passant, wirkliche Interaktion nur selten. Auch wird Hofmannsthals bewegtes neobarockes Maschinentheater recht unsportlich und teils sinnwidrig begradigt.

Immerhin fanden Claudia Irro und Bettina Werner bestens „lesbare“ Dresscodes für die Kostüme und Jo Schramm imposante Bühnenbilder für die geteilte Welt: oben, bei Kaisers, kühles Chefetagen-Flair im Milchglaslicht, stets wandelbar zum Mausoleum; unten Baraks Klärwerk-Orkus, das Innere eines eiförmigen Faulturms. Stimmig im Stinkigen, dass die kaiserliche Amme als dämonische Versucherin der Färberfrau statt eines Haarbands einen Parfumflacon kredenzt. In der ersten biopolitischen Oper der Musikgeschichte geht es schließlich auch um die biopolitische Ausbeutung des Proletariats, eingefädelt von der menschenhassenden Amme – die Evelyn Herlitzius in der herausfordernden Partie stimmlich wie expressiv hoch differenziert zeichnet: eine Frau, die hasst, weil sie um ihre Liebe zu der ihr anvertrauten Kaiserin kämpft. Sie verlockt ihre Pflegetochter, das Stigma der Unfruchtbarkeit loswerden, indem sie der physisch und psychisch armen Färberin den Schatten abluchst: Zeichen menschlicher Identität, und die ist bei Frauen – ein „Schatten“ wird „geworfen“ – die Gebärfähigkeit. Passt wie die Faust aufs emanzipierte Auge, das Selbstbestimmung statt reproduktionsbiologischer Determination sieht.

Als Schlussgag wundersame Gendergerechtigkeit

Wer diese Story zwischen Antinatalismus und Kinderwunschklinik auf die Regieschulter nimmt, hat ein gewaltiges Dekonstruktionspäckchen zu tragen. Hermann macht sich’s leicht. Er begnügt sich mit wundersamer Gendergerechtigkeit als Schlussgag: Auch die Männer kriegen einen dicken Bauch – zur Allverbrüderung nach der Geburt der Humanität aus dem Geist sozialer Verantwortung. Die Kaiserin brachte sie zur Welt, als sie Familienglück auf Kosten anderer verweigerte: die stärkste Stelle der Oper, bei der es ihr den Gesang verschlägt. Die überragende Simone Schneider steigert die Fallhöhe ins gesprochene Protestwort zum Schock nach der geschmeidigen Eloquenz ihres leuchtenden, höhensicheren Melos in den extremen Zumutungen der Partie.

Zweisam einsam

Doch ist die Apotheose bei Hermann so getrübt wie Strauss’ letzte Orchestertakte, die zwar die Motive von Kaiserin und Kaiser verflechten, aber erst mit herbem Tritonus ins kristalline C-Dur auflösen. Das hohe Paar bleibt unfruchtbar entzweit, während der Färber ein kleines Etwas entbindet, das zuvor in Riesengestalt in der unteren Welt hauste: Wurm, Wirbelsäule, Geburtskanal, zugleich fossiles Relikt ausgestorbenen Lebens. Die Menschheit erklärt Hermann zur bloßen postapokalyptischen Erinnerung, zum unklaren Gedankenexperiment einer ungeklärten Intelligenz mit ihren schergenhaften Geheimdienstrobotern (Michael Nagl und Josefin Feiler). Übermächte im Spiel? Faule Ausrede!

Weder plumpe Überwältigung noch Saccharin-Überdosis

Dafür klingt es verdammt gut, auch in den übrigen Partien. Benjamin Bruns gibt Kaiser mit schönstem Strahlemann-Tenor und gebührender Jammerton-Beimischung in seiner Szene im zweiten Akt. Martin Gantner als Barak, eine Mischung aus Malocher und Best Ager, singt Kantilenen von wahren Belcanto-Gnaden, Iréne Theorin als Färberin verfügt über warmes Mezzo-Licht wie über grelle Spitzen, diese manchmal zu tremolierend. Dirigent Cornelius Meister lässt sich von Strauss’ verräterischem Orchesterluxus weder zu plumper Überwältigung noch zu überdosiertem Saccharin im schwelgerischen Schmelz verführen. Bei aller Dynamik, bei allem Schwung leuchtet Meister aus, wo Strauss’ Musik – weitgehend Retrospektion in eigener Sache – am stärksten ist: in kammermusikalischen Finessen, in verstohlenen, komplizenhaften Klang-Kommentaren.

Die nächsten Vorstellungen: 1., 5., 11. und 26. November sowie 2. Dezember im Opernhaus.

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