Ein Arzt steht unter Verdacht, Krankendaten manipuliert zu haben, um seinen Patienten schneller zu einer Leber zu verhelfen. Die Transplantationsmedizin muss sich Fragen nach ihren Kontrollmechanismen stellen lassen.

Göttingen - Wer am Freitagmittag die Internetseite der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) anklickte, fand dort Sätze, die wie Hohn klingen. Das deutsche Transplantationsgesetz (TPG), das Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung regele, „schließt jeden Missbrauch aus und schafft Rechtssicherheit“. Es sorge „für Transparenz und Chancengleichheit unter allen Organempfängern, da die Verteilung streng nach bundesweit einheitlichen Kriterien erfolgt“. Diese schöne Prosa ist sehr fragwürdig geworden.

 

Denn ein ehemaliger Arzt der Göttinger Universitätsklinik steht im Verdacht, Patientendaten so manipuliert zu haben, dass die von ihm behandelten Patienten schneller eine lebensrettende Spenderleber erhalten haben sollen als andere Kranke. Der Mediziner soll in den vergangenen zwei Jahren in großem Stil Krankenakten gefälscht haben. Dazu soll er die Laborwerte für die Nieren der Patienten so verändert haben, dass sie auf der Warteliste für ein Spenderorgan einen günstigeren Platz erlangten. Durch die Hinweise eines Krankenhausmitarbeiters kamen die Ermittlung in Gang. Laut Medienberichten soll gegen den Mann bereits in der Vergangenheit ermittelt worden sein, weil er eine für das Klinikum Regensburg vorgesehene Spenderleber nach Jordanien mitgenommen hatte, um sie dort einzusetzen. Die Ermittlungen sollen damals jedoch im Sand verlaufen sein.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt

Ob der Arzt im jüngsten Fall aus finanziellen Interessen handelte – ob er also von den Kranken, deren Daten er fälschte, Geld bekam – ist offen. Dieser Verdacht wird derzeit von der Staatsanwaltschaft Braunschweig geprüft, wie Staatsanwältin Serena Stamer auf Anfrage mitteilte. Ende Mai hat die Behörde Wohnräume untersucht und wertet nun die gefundenen Unterlagen aus. Mehr kann Stamer zu den Ermittlungen noch nicht sagen, da es sich um ein laufendes Verfahren handele. Die Vermutung, dass nicht nur der unter Verdacht stehende ehemalige Oberarzt an dem Skandal um Lebertransplantationen beteiligt war, hegt das Vorstandsmitglied der Göttinger Universitätsmedizin, Martin Siess. Dafür sei das Ausmaß der Missstände mit möglicherweise 25 manipulierten Organspenden viel zu groß. „Das Ganze ist schockierend“, mit diesen Worten nimmt der Mann zum Göttinger Fall Stellung, der am Freitag fast im Minutentakt Interviews gibt. Der Hallenser Jurist Hans Lilie ist Vorsitzender der Kommission für Organtransplantationen bei der Bundesärztekammer (BÄK). Die Ständeorganisation der Ärzte hat ihrerseits die Vorgänge am dortigen Universitätsklinikum untersucht. Sie seien unglaublich, meint Lilie. Er habe sich zuvor nie vorstellen können, dass ein Arzt so verwerflich handeln könne.