Als der Sportstar seine Freundin erschoss, brach für viele Südafrikaner eine Welt zusammen. Nun kommt er aus der Haft frei. Die Behörden wollen ein Spektakel verhindern.

Das letzte Zeitzeugnis einer sportlichen Betätigung von Oscar Pistorius, ja überhaupt die letzte öffentlich gewordene Aufnahme ist ein wackliges Handyvideo. Es stammt von 2015, aufgenommen offenbar von einem anderen Häftling. Zu sehen ist der ehemalige Paralympics- und Olympia-Star, wie er im Innenhof eines Gefängnisses in Südafrikas Hauptstadt Pretoria mit dem ebenfalls verurteilten Mafiaboss Radovan Krejcir auf seinen Prothesen einen Fußball kickt.

 

Der Aufschrei war groß. Pistorius, einst einer der größten Helden der Nation, war wenige Monate zuvor wegen tödlicher Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp zunächst nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Der entspannte Kick passte ins Bild des Prominentenbonus. Prompt organisierten die Gefängnisbehörden eine Medientour, in dem auch eine kärgliche Zelle gezeigt wurde, in der Pistorius zeitweise untergebracht war. Bald darauf wurde das Urteil auf Totschlag und das Strafmaß auf über 13 Jahre korrigiert.

Der Prozess wurde damals live übertragen

Nun soll Pistorius (37) an diesem Freitag vorzeitig auf Bewährung aus der Haft entlassen werden. Fast elf Jahre sind vergangen seit dem Verbrechen, das sich ins kollektive Gedächtnis der Nation gebrannt hat. Pistorius hatte in einem live im Fernsehen übertragenen Prozess ausgesagt, er habe Steenkamp versehentlich für einen Einbrecher gehalten und deshalb auf die geschlossene Toilettentür geschossen, hinter der sich seine Partnerin befunden hatte.

Nun versuchen die südafrikanischen Behörden eine Wiederholung des Spektakels zu verhindern, das den Prozess drei Jahre lang begleitet hatte. Pistorius’ Entlassung soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. „Er wird wie andere, die auf Bewährung freigelassen werden, nach Hause gebracht. Wir geben dazu keine Details bekannt“, so ein Sprecher der Gefängnisbehörden.

Pistorius lebt künftig in einer Art Hausarrest

Als Teil der Auflagen darf der gefallene Star das Anwesen seines Onkels, auf dem er leben wird, nur zu bestimmten Zeiten verlassen. Der Konsum von Alkohol ist ihm untersagt, die Teilnahme an einem Programm zur Vermeidung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie an einer Therapie zur Aggressionsbewältigung sind Pflicht. Die Boulevardmedien, davon ist auszugehen, werden nichts unversucht lassen, das alles detailliert zu dokumentieren.

Schon in den vergangenen Tagen berichteten die Zeitungen ausführlich über die bevorstehende Freilassung. Der Prozess war schließlich weit mehr als eine reißerische Geschichte über das persönliche Drama des ersten an den Unterschenkeln amputierten Leichtathleten, der sich für die Olympischen Spiele 2012 in London qualifizierte. Pistorius wurde so lukrativ wie kaum ein anderer in Südafrika vermarktet.

Sport war immer wichtig für die Südafrikaner

Die detaillierte Aufarbeitung des Verbrechens, die vom Schmerz gezeichneten Gesichter von Steenkamps Angehörigen, erschreckte selbst die Südafrikaner, die Realitäten wie zuletzt 27 000 Morde jährlich ansonsten verdrängen. Der Fall warf ein Schlaglicht auf die enormen Einkommensunterschiede, das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und die Unzulänglichkeiten der Justiz. Auch Pistorius’ weiße Hautfarbe spielte eine Rolle, obwohl das bisweilen komplexe Miteinander der ethnischen Gruppen in dem Fall eigentlich keine große Rolle spielte.

Fast in Vergessenheit geriet, dass der Nation eines seiner populärsten Sportmärchen abhandengekommen war. Sport war in Südafrika schon immer mehr als eine Nebensache. Während der Apartheid traf der Ausschluss der Nationalteams von internationalen Turnieren so manchen Buren härter als die Wirtschaftssanktionen. Der Widerstand gegen das weiße Minderheitsregime formierte sich wiederum am Rande von Fußballspielen in den Townships. Neben den Kirchen gehörten die Stadien zu den wenigen legalen Orten für Versammlungen.

Pistorius darf keine Interviews geben

Seit Einführung der Demokratie versuchte Südafrika auch über den Sport zusammenzuwachsen. Als das Land 1995 die WM im Rugby ausrichtete und auch noch gewann, überreichte Präsident Nelson Mandela dem burischen Rugbykapitän Francois Pienaar die Trophäe. Südafrika wurde Gastgeber des Afrika-Cups im Fußball und der WM im Kricket und 2010 der Fußball-WM.

Doch in den Jahren danach gewann das Land in seinen identitätsstiftenden Sportarten kaum noch etwas und versank im Korruptionssumpf des damaligen Präsidenten Jacob Zuma. Stromnetz und Wirtschaftswachstum kollabierten. Die positive Geschichte von einem wie Pistorius, der als Sportler über alle Widerstände und Wahrscheinlichkeit triumphierte, war eine dringend nötige Ermutigung.

Nach seiner Verurteilung stand Pistorius für die düsteren Seiten Südafrikas. Die Behörden wollen verhindern, dass diese in den kommenden Tagen wieder im großen Stil ausgeleuchtet werden. Seit November, als die Aussetzung von Pistorius’ Reststrafe zur Bewährung bekannt wurde, dürften lukrative Interviewanfragen bei seiner Familie eingegangen sein: Diese Angebote darf Pistorius bis zum Ende seiner Bewährungsstrafe 2029 nicht annehmen. Seine Auflagen schließen Interviews kategorisch aus.