Am Freitag ist Angelo Dundee beerdigt worden. Er war der berühmteste Boxtrainer der Welt und Muhammad Alis Mentor. Ein letzter, persönlicher Gruß.  

Stuttgart - Auf den ersten Blick ist alles wie früher. Hat der Boxgott das Rad der Zeit angehalten und um fünfzig Jahre zurückgedreht? "Angelo Dundee's 5th Street Gym" lesen wir an der Hauswand - und drinnen wird geboxt und geschwitzt.

 

Für ein angemessenes Eintrittsgeld darf hier jeder ein bisschen boxen, schwitzen, den Sandsack verdreschen und etwas für seine Fitness tun. Auch David Haye war schon mal zum Sparring da, ehe ihm der jüngere Klitschko dann sein Großmaul stopfte - aber mit dem, was das Dundee-Schild an der Tür und die mit "Cassius Clay" beschrifteten T-Shirts der Trainer versprechen, hat die neue, letztes Jahr unweit des niedergerissenen Originals eröffnete Boxbude an der Ecke Fünfte Straße/Washington Avenue in Miami Beach nicht mehr viel zu tun. Nichts ist, wie es war - damals in den 60ern, als hier noch das wahre Großmaul der Größte war.

Wie es war? Angelo Dundee hat es uns erzählt. Er war ein wunderbarer Erzähler, und es war einer jener wunderbar verrückten Reportertage, an denen einem das Glück die Hand schüttelt. An jenem Morgen vor fünfzehn Jahren ging das so: Sportsfreund B. saß im Wartezimmer des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. Julian Groff in Miami, die Tür ging auf, der berühmteste Trainer der Welt spazierte mit seiner besseren Hälfte Helen herein, die es an den Ohren hatte - und schenkte dem Reporter den Rest seines Tages.

Ali kommt zu seiner Beerdigung

Alles hat Angelo Dundee erzählt aus den "glory days", den großen Zeiten seines Gyms in der Fünften Straße, das der Tempel des Boxens war, dank des faszinierendsten Boxers der Welt. Der hieß erst Cassius Clay und dann Muhammad Ali, und täglich war etwas los. Die Beatles schauten vorbei, unten im Restaurant hat Malcolm X, Alis Kumpel von den Black Muslims, nicht lange vor seiner Ermordung noch gut gegessen, und sogar Mickey Rourke, der Hollywoodstar, hat im 5th Street Gym trainiert. "Doch dann haben sie einen Parkplatz daraus gemacht", sagte der alte Dundee und zeigte uns sein letztes Souvenir - "dieser Backstein ist alles, was übrig blieb."

Jetzt ist auch Angelo Dundee nicht mehr da. Götterdämmerung, gnadenlos. "When we were Kings" heißt ein königlicher Kinofilm über die unwiederbringlichen Zeiten von Ali, Foreman und Frazier, aber die Könige sterben. Neulich Joe Frazier. Jetzt Dundee.

Am Freitag wird er beerdigt, auf dem Friedhof in Clearwater, im Norden Floridas, wo er die letzten Jahre nahe der Familie verbracht hat. Ein Herzinfarkt, mit neunzig. Kürzlich war er noch bei Ali zu dessen Siebzigstem in Kentucky, jetzt kommt Ali zu seiner Beerdigung. Wie sagt man: wenn ein Politiker stirbt, kommen viele zur Beerdigung, aber nur, um sicherzugehen, dass man ihn wirklich begräbt. Bei Dundee kommen viele, weil er war, wie er war - bei ihm hat sich das so angehört: "It don't cost nothin' to be nice." Es tut nicht weh, nett zu sein. Wenn ein so großes Herz aufhört zu schlagen, soll man an der Stelle kurz verweilen.

"Angelo ist kein Weißer, Angelo ist Italiener."

Damals, an jenem gastfreundlichen Tag, hat Angelo Dundee uns durch sein neues, kleines Boxcamp geführt, das er nach dem Abriss des alten vorübergehend noch aufgemacht hatte, und es war eine Freude zu sehen, wie sich der alte Mann um einen jungen Boxer kümmerte. Der war vielleicht 15, und der Alte hielt den Sandsack fest, auf den der Junge einschlug, und Dundee lobte ihn und feuerte ihn an. "Schau", sagte drüben an der Tür ein Vater zu seinem Dreikäsehoch, "das ist der Mann, der Ali trainiert hat." "Komm", winkte Dundee den Knirps zu sich - und gab ihm ein Autogramm und einen dicken Klaps.

Ali war seine Liebe, und der Größte hat sie erwidert, zum Missfallen seiner Black Muslims. Einmal wurde er gefragt, warum er sich von einem Weißen trainieren lasse. "Angelo ist kein Weißer", antwortete er, "Angelo ist Italiener." Ali wusste schon als Clay, wen er da als Freund hatte. "Cash" nannte ihn Dundee, und die größte Karriere des Sports wäre holpriger losgegangen ohne den Trainer. Clay war noch nicht Weltmeister, als ihn in London gegen Henry Cooper das traf, was Experten für den fürchterlichsten linken Haken der Boxgeschichte halten. Wie ein gefällter Baum kippte Clay in die Seile. In der Rundenpause schlitzte ihm Dundee in höchster Not einen Handschuh auf und brüllte den Ringrichter an: "Wir brauchen einen neuen!" Minuten verstrichen, und bis ein Handschuh gefunden war, hatte sich Clay erholt - und die Jahrhundertkämpfe konnten beginnen. Im "Thrilla von Manila", gegen Frazier anno 75 rettete ihn Dundee noch mal. Hinterher sagte Ali, er habe den Tod gesehen, jedenfalls war er nach der 14. Runde am Ende. "Cut them off", stöhnte er, schneid die Handschuhe auf, mach Schluss. "Wir warten noch", antwortete Dundee - im nächsten Moment gab Joe Frazier, halb blind, halb bewusstlos, in der anderen Ecke auf.

Big George Forman war Dundees letzter von 15 Weltmeistern, und bei der Beerdigung wird auch er sich bedanken - denn noch im biblischen Boxalter hat ihm der Trainer etwas Neues beigebracht: zur Deckung die Arme hochzunehmen. So hat Angelo Dundee jedem etwas gegeben, von seinen großen Jahrhundertboxern über den kleinen Boxbuben am Sandsack bis zum Reporter B. Am Ende des Abends holte Dundee ein altes Foto aus der Schublade, das ihn mit dem jungen Cassius Clay zeigt, und er schrieb: "To Oskar, beat always. Angelo." Der Beschenkte wird diesen großen Boxergruß, sich tapfer durchs Leben zu schlagen, in Ehren halten wie die Erinnerung an einen außergewöhnlichen Menschen. Ruhe in Frieden, alter Meister.