Das deutsche Tennis zuckt wieder. Andrea Petkovic verzaubert nicht nur Miami und die Amerikaner. Sie ist eine große Hoffnungsträgerin.

Stuttgart - Bis Dienstagabend war im deutschen Tennis die einzig verbliebene Gestalt von Weltgeltung kein Spieler, sondern der Fotograf Paul Zimmer. In den glorreicheren Tagen war der virtuose Stuttgarter der Hoffotograf von Steffi Graf und Boris Becker, und anlässlich einer Talentreportage baute sich seinerzeit auch einmal ein sechsjähriger Hopfensitz vor ihm auf. "Ich bin Tommy", krähte der Dreikäsehoch. "Und was treibst du so, Tommy?", fragte Zimmer. "Tennis", sagte der laufende Meter, "ich will mal so gut wie Björn Borg werden."

 

Inzwischen hat auch Tommy Haas seine Karriere schon wieder hinter sich, als der letzte Deutsche, den man in der Tenniswelt noch herzeigen konnte - doch nun, am späten Dienstag, ist uns der Zeitzeuge Zimmer in den Katakomben des Tennisstadions in Miami vor Aufregung fast über die Füße gestolpert. Er schnappte nach Luft und sagte: "Wir haben wieder einen Star." Andrea Petkovic wurde draußen frenetisch gefeiert. Soeben hatte sie die Serbin Jelena Jankovic, die ehemalige Nummer eins der Welt, mit 2:6, 6:2, 6:4 ebenso aus dem Crandon Park in Key Biscayne gespielt wie tags zuvor schon Caroline Wozniacki, die amtierende Nummer eins. Und für ihr Klopfen an die Tür der Weltspitze hat sie sich da keine schlechte Bühne ausgesucht: Hinter den Grand-Slam-Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York ist Miami das fünfte Rad am Wagen, viereinhalb Millionen Dollar Preisgeld stehen auf dem Spiel, und alle verfügbaren Kanonen sind da.

Das Tanzfieber ist im Tennis ausgebrochen

Aber nicht Rafael Nadal und Roger Federer oder die glamouröse Maria Scharapowa haben es jüngst zum Titelhelden im "Miami Herald" geschafft, sondern die Nummer 23 der Weltrangliste, balkendick untermauert von der Schlagzeile: "Dance Fever". Das Tanzfieber ist im Tennis ausgebrochen - denn da kommt aus der Tiefe des Nichts eine Darmstädterin und tanzt den Besten der Welt auf der Nase herum und am Ende auf dem Centre-Court auch noch ihren "Petko-Tanz" - im April auch in Stuttgart, wo sie beim Fedcup und beim Porsche-Tennis-Grand-Prix mitspielen wird. Der ganze Crandon Park in der Bucht von Miami hat mitgewippt. Normalerweise löst jeder Sack Reis, der in Peking umfällt, unter Amerikanern mindestens doppelt so viel Aufsehen aus wie jeder lebende deutsche Sportler. Aber bei Petkovic sieht es gut aus. Sie reißt alle mit. Als die Serbin sie einmal mit einem hohen Ball überlupfen wollte, unerreichbar für ihre rechte Schlaghand, nahm sie die Linke, scharfer Schuss - und drin.

Überhaupt ist Frauentennis inzwischen wie Schwergewichtsboxen. Der Schlagabtausch wird bestritten mit rechten und linken Geraden, das Tempo ist atemberaubend, das menschliche Auge kommt beim Zuschauen kaum noch mit, und Petkovic sagt ohne falsche Bescheidenheit: "Es kommt eine neue Generation - und wir sind auf dem höchsten Stand der Fitness." Ihr Training ist ein Drahtseilakt ("Es gibt nichts Schwereres, als die Ausdauer zu steigern, ohne langsamer zu werden"), aber sie kriegt diese Kurve - leichtfüßig hat sie drei Stunden lang die Bälle der Serbin Jankovic zurückgeprügelt, ohne ein Knie zu beugen. Jeden Schlag unterstützt sie dabei mit dem Schrei: "Outsch!"

Eine, die weiß, was sie will

"Man hört, dass sie aus Germany kommt", raunte der US-Reporter neben uns seinem Kollegen ins Ohr. Über Deutschland wird im Tennis nach verdammt langer Zeit endlich wieder gesprochen. In der Pressekonferenz bekennt die neue Hoffnungsträgerin auf vielfache Nachfrage Farbe in puncto Steffi Graf ("Sie ist mein großes Idol, ich habe in Las Vegas bei ihr trainiert") - und ihre ganze Lebensgeschichte muss sie nacherzählen: Dass sie als Kind mit den Eltern aus dem Krieg im bosnischen Tuzla flüchtete und dass Vater Zoran auch Tennisprofi war, aber es lieber gesehen hätte, dass etwas Richtiges aus ihr wird. "Aber mein Kopf", sagt sie, "war dicker."

Andrea Petkovic ist ein absolutes Multitalent

Da lacht der ganze Saal. Die Neue kommt an. Die Amerikaner feiern sie fasziniert als Freigeistige, die sich abhebt vom weit verbreiteten Nichts. Außerdem staunen sie über ihre Fähigkeit, Deutsch, Englisch, Serbisch und Französisch zu sprechen, über ihr Einserabitur und dass sie nebenher Politikwissenschaft studiert "und Goethe liest". Und auch noch so Tennis spielt. Auf den hohen Absätzen sind die Menschen im Crandon Park in Key Biscayne am Ende gestanden vor Begeisterung, wenn sie die Becker-Faust so elektrisiert heraushaute, wie es früher nicht einmal Boris Becker hingekriegt hat. Vor vielen, vielen Jahren hat der übrigens seinen Abschied hier in Miami gegeben.

Das ganze Stadion hat dieser wilde Hund damals noch mal unter Feuer gesetzt. Auch bei Andrea Petkovic haben jetzt alle Fieber, auch sie lässt alle teilhaben an ihrem Spiel. Und ihrem Siegestanz. Sie hat aber angekündigt, dass sie den nur noch in Miami tanzt und sich dann etwas Neues einfallen lässt - und der Reporterschar in den Notizblock diktiert: "Falls Ihr eine Idee habt, sendet sie mir bitte an meine E-Mail-Adresse - andiepetko@hotmail.com." Vor allem Glückwünsche wird es hageln, falls sich Andrea Petkovic im Halbfinale am Donnerstag auch Scharapowa vorknöpft. In dem Fall müssten wir Deutschen zum Ausdruck unserer Begeisterung bald wieder Tennisbälle über die Anhängerkupplungen stülpen wie in den glorreichen Tagen.