Was macht ein Fußballer, der die Nase voll aber kein Taschentuch zur Hand hat? Dann geht es auf dem Platz oft zu wie bei Schweins unterm Sofa. Das kann böse enden, schlimmer als in Loriots unvergessenem Sketch „Die Nudel“.

Stuttgart - Immer mehr Menschen haben die Nase gestrichen voll angesichts der abscheulichen Dinge, die auf dieser Welt passieren. Auch einer Verzweifelten namens Verena ist der Kragen geplatzt – sie hat sich an die Lebenshilfe auf www.wer-weiß-was.de mit der fuchsteufelswilden Frage gewandt: „Warum rotzen Fußballer ständig rum?“

 

Es geht auf dem Platz zu wie bei Schweins unterm Sofa. Gerade dieser Tage ist den feinen Pinkeln und Pfarrerstöchtern unter uns, die wir noch mit dem Taschentuch großgezogen wurden, der Appetit wieder gründlich vergangen. Denn im Fernsehen kam Arsenal gegen Sunderland, und nach dem Abpfiff hat sich ein Millionenpublikum den Magen über den Hals entleert, wegen Olivier Giroud. Der Arsenal-Torjäger zeigte technisch perfekt, was ein nasaler Befreiungsschlag ist, in Großaufnahme schlenzte der Franzose sich virtuos den Kanal frei: Er presste kurz den Mittelfinger gegen den Zeigefinger, drückte damit abwechselnd gegen beide Nasenflügel und blies die Fontänen als scharfe Geschosse über den Platz – bis in Reihe zehn mussten die Zuschauer sich ducken, um von keinem dieser Querschläger getroffen zu werden, und selbst vor dem Bildschirm hat es uns noch die Brille beschlagen.

Diese Kanalreinigung gilt als geschmacklich grenzwertig, gehört aber mittlerweile zum Spiel wie eine eklige Schwalbe: Jeder Kicker, der seinen Job ernst nimmt, bläst sich den Ballast hemmungslos von der Nase – und anschließend mit den deutschen Tugenden (Mund abputzen, Finger abstreifen, weiterrennen) zum Angriff.

„Ich habe mein Rohr wieder freigelegt“

Haben Sie letzte Woche Simon Rolfes gesehen? Der Leverkusener verbockte gegen Paris St. Germain das 0:1, und im hohen Bogen segelte auch da im nächsten Moment das Rachengold über den Platz. Der Sportpsychologe Heinz Georg Rupp spricht in solchen Fällen von einem Akt der Befreiung. Um die Blockade zu lösen, muss ein druckvoller Strahl her, das Signal heißt: „Ich habe mein Rohr wieder freigelegt – beim nächsten Mal klappt es.“

Der akrobatische Höhepunkt unter den zweifelhaften Leckerbissen (jetzt bitte gut anschnallen) war aber der Vortrag jenes ehemaligen Ballzauberers, dem der Segen plötzlich kreuz und quer im Gesicht hing – es war wie im Sketch „Die Nudel“, in dem Loriots Heiratsantrag an seine Hildegard im piekfeinen Ristorante durch eine Spaghetti behindert wird, die ihm abwechselnd an den Lippen, am Finger und am Haaransatz klebt. „Sie haben da was“, sagt die Angebetete scheu, aber unbeeindruckt schiebt ihr Verehrer die Nudel mit der Serviette vollends in Richtung Nasenwurzel, wo sie schrägt und gekrümmt verweilt.

Im Fußball lacht keiner mehr. Im Internet schäumte beispielsweise ein Vater: „Eben habe ich es wieder bei Arjen Robben gesehen. Mein Sohn ist sieben und macht das jetzt auch schon.“ Im richtigen Leben wird das öffentliche Spucken in Tateinheit mit sonstigen Verunreinigungen mit einem Bußgeld verfolgt – nur beim Kicken packt keiner die Schleimbeutel am Schlaffitchen.

Wenn die Fontäne ins Kleinhirn einschlägt

Dabei gefährden sie die Volksgesundheit. Die Zuschauer leben im Schussfeld der Fontänen in der ständigen Angst, ihr Augenlicht zu verlieren, und bei den zunehmenden Nasenbeinbrüchen im Fußball handelt es sich um Ermüdungsbrüche des vom Dauerdrücken strapazierten Knorpelbereichs. Unterschätzt wird auch das Risiko, dass so eine Fontäne nach hinten losgehen und im Kleinhirn einschlagen könnte. Doch alarmierend ist vor allem, wenn ein Profi sein verschnäuztes Trikot am Ende mit dem Gegenspieler tauscht, der sich damit den Schweiß vom Mund wischt. Auch Zeugwarte klagen nach der Trikotwäsche bereits über Schleimbeutelallergien und Stadiongärtner über hässliche Hautausschläge.

Getan wird nichts. Die Fußballer, nicht selten gestählt durch eine harte Kinderstube, pochen auf das Menschenrecht der nasalen Entfaltung ihrer Persönlichkeit. „Fußball ist ein Männersport“, sagen sie – und bestätigen die Schweizer Wissenschaftlerin Sarah Gretler, die das Rotzen als Macho-Demonstration wertet, ganz ähnlich dem Zurechtrücken der Genitalien per Handgriff, mit dem sich Michael Jackson früher auf der Sangesbühne produzierte.

Fakt ist, Stand gestern: Alle Appelle verhallen ungehört, sie gehen den Fußballern durch ein Nasenloch hinein und durchs andere gleich wieder hinaus – nur der Rottenburger Bundesligaschiedsrichter Knut Kircher war in dieser Saison als Missionar schon erfolgreich: Vor einem Freistoß griff er plötzlich in die Hosentasche, reichte dem Hoffenheimer Profi Kai Herdling ein Taschentuch, und der schnäuzte manierlich hinein. Das Bild ging um die Welt, und den beiden gebührt der Grimme-Preis für ihr außerordentliches Beispiel anspruchsvoller Fernsehhygiene.

Auf dem Fußballplatz, hört man, werden Kircher und Herdling dagegen seither schief angeschaut – wie einem das heutzutage auch beispielsweise auf einer Bahnhofstoilette häufig passiert, wenn man dabei erwischt wird, wie man sich nach dem Pinkeln die Hände wäscht.