Am Mittwoch spielt Dortmund gegen die Bayern im DFL-Supercup – und weder die einen noch die anderen können ihre Klappe halten.

Stuttgart - Viele werden es nicht glauben – aber es soll Menschen geben, die in fünf Sprachen schweigen können. Sogar im Sport.

 

Niki Lauda zum Beispiel. So ein Wiener ist aufgrund seines angeborenen Schmähs für jedes diskrete Stillhalten eigentlich ungeeignet, doch in Erinnerung an sein einstiges Flammeninferno auf dem Nürburgring hat er sich später als TV-Experte in der Formel 1 berühmt geschwiegen mit dem denkwürdigen Satz: „Ich verbrenne mir nicht die Finger, ich habe mir schon die Ohren verbrannt.“

Die üblichen Nebengeräusche

Im Fußball könnte so ein Leisetreter einpacken, denken wir an heute Abend. Da vertreten sich die Dortmunder und die Bayern unter dem Vorwand „Supercup“ lediglich ein bisschen die Beine, doch seit Tagen fliegen die Worthülsen aus der Schreckschusspistole der Redseligkeit hin und her. „Rummenigge soll den Mund halten“, sagt der BVB-Sportchef Zorc, sein Bayernkollege Sammer („Wir lassen uns von niemand den Mund verbieten“) schießt sofort zurück, und der BVB-Geschäftsführer Watzke hat dann prompt auch noch das gemeinsame Essen abgesagt – er will dem Bayern-Boss Rummenigge in den Mund, den der nicht halten kann, nicht auch noch eine gebratene Taube schieben.

„Das sind die üblichen Nebengeräusche“, hat unlängst im „Sportstudio“ der Moderator Voss gesagt, aber sichtlich erfreut, denn sein ZDF überträgt das Spiel, und jeder Pfeffer ist willkommen. Das Medienzeitalter und der Zirkusfußball ergänzen sich perfekt, und wenn es die Marktschreier nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Wenn Rummenigge neulich nicht ausgeplaudert hätte, dass Dortmunds Star Marco Reus bald für 25 Millionen zu haben ist, müsste sich das Sportvolk stattdessen mit der Frage begnügen, ob Julian Reus bei der Leichtathletik-EM in Zürich die 100 Meter unter 10,0 läuft – das wären dann allein im Internet ungefähr zwei Millionen Leserklicks weniger.

Nichts Schöneres als schweigende Dummköpfe

Nichts fesselt die Menschheit mehr als Fußballstars, die das Wasser nicht halten können. Weltweit hat Thomas Müller neulich Wellen geschlagen, als ihn nach dem WM-Finale eine kolumbianische TV-Reporterin fragte, ob er nicht gern den Goldenen Torjägerschuh gewonnen hätte, worauf ihr der Bayer ordentlich einschenkte: „Des interessiert mi ois ned, der Scheißdreck. Weltmeister samma! Den Pott hamma! Den scheiß goldnen Schuah kannst dir hinter d’ Ohren schmieren!“ An der Stelle kommt dann auch die englische Dichterin Minette Walters zu spät, der wir nicht nur den Roman „Im Eishaus“ verdanken, sondern vor allem die Bitte: „Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihre Gedanken mit ins Grab zu nehmen?“

Vergessen wir auch nicht Götze, Klose, Schürrle, Kroos, Weidenfeller und Mustafi. Im Siegesrausch stimmten die auf der Berliner WM-Party in gebückter Haltung den Gassenhauer „So gehen die Gauchos“ an, um dann in den aufrechten Gang überzuwechseln und zu brüllen: „Und so gehen die Deutschen.“ Das war infantil, aber mindestens genauso gut hätte ein Schwätzer namens Victor Hugo Morales das Maul halten können, statt sich in die Formulierung zu verirren: „Ekelhafte Nazis.“ Der unvergessene Querdenker Qualtinger hat einmal gesagt: „Es gibt nichts Schöneres, als dem Schweigen eines Dummkopfs zuzuhören.“

Besonders dummes Zeug muss gesungen werden

Dummerweise schweigen Dumme aber nie. Warum auch, wo nicht einmal die Gescheiten schweigen, sondern lieber wie kürzlich Bastian Schweinsteiger in Partylaune einen Anti-BVB-Song in eine Kamera schmettern – was Voltaire recht gibt: „Alles, was zu dumm ist, um gesprochen zu werden, wird gesungen.“ Dass das Reden dabei aber nicht zu kurz kommt, zeigt uns immer wieder Lothar Matthäus, unser Rekordinternationaler im Nicht-die-Klappe-halten-önnen. Oder Boris Becker. Er habe, hat er sich einmal verteidigt, seine Memoiren für seine Kinder geschrieben, „damit sie meine Wahrheit schwarz auf weiß haben“ – worauf ihn Thomas Gottschalk fragte: „Hättest du es ihnen nicht auch unter vier Augen sagen können?“

Kluge Köpfe behaupten: Mit den Schließmuskeln des Mundes ist es wie mit denen des Afters – wenn sie erschlaffen, geht der Schuss in die Hose.

Klappern gehört zum Geschäft

Andererseits haben es die modernen Sporthelden aber auch schwer: Die einen können die Klappe nicht halten, die anderen wollen es nicht. Der brasilianische Altstar Romario sagt über Pelé: „Wenn er schweigt, ist er ein Poet.“ Aber wie soll Pelé schweigen? Zu viele Leute lechzen nach seinen Zehn Geboten, die er vom Berg Sinai herunter verkündet. Vermutlich hätten auch Watzke, Sammer, Rummenigge und Zorc in den letzten Tagen gerne die hohe Schule des kreativen Schweigens vorgeführt und gesagt, dass der Klügere nachgibt und sie deshalb von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Aber das geht nicht.

Denn heute Abend ist Supercup, und der muss den Leuten ins Bewusstsein getrommelt werden. Die Amerikaner nennen das Ballyhoo, Klappern gehört zum Geschäft, und etwas Schaum vor dem Mund ist hilfreicher als ein Maulkorb. Das Fußballvolk will elektrisiert werden – und wenn Zorc, Rummenigge, Watzke oder Sammer nicht schweigen, steckt womöglich auch noch die Angst dahinter, dass die Gattin morgens beim Frühstück schmollend sagt: „Du, Schatz, wieso ist heute kein Wort von dir in der Zeitung?“

Ein solches Versäumnis wird inzwischen als Scheidungsgrund anerkannt. Es gibt also verdammt viele Gründe, die im Fußball dagegensprechen, die Klappe zu halten.