Borussia Dortmund gegen Bayern München ist wie Klopp gegen Sammer – oder sogar wie Tyson gegen Holyfield? Das Duell der Duelle kommentiert unser Kolumnist Oskar Beck.

Wembley - Diese Woche hat es nun aber jeder begriffen. Das nahende deutsch-deutsche Gigantenduell in der Champions League stellt die Weltpolitik dorthin, wo sie hingehört, nämlich in den Schatten, von nichts anderem ist in sämtlichen Diskussionen die Rede. Der Gedankenausgang ist deutlich, wenn Sie beispielsweise einen Bayern-Fan fragen, woran er einen Dortmunder Fan auf den ersten Blick erkennt, sagt er: „Schwarzer Hals, gelbe Zähne“ – und im Gegenzug bringt jeder anständige BVB-Anhänger das große Finale in Wembley auf den zündenden Nenner: „Schwarzgelb gegen Schwarzgeld.“

 

Aber die Hänseleien werden sich noch dramatisch verschärfen. Spätestens mit dem Anpfiff ist vollends die gewaltigste Gefühlskollision zu befürchten, die der deutsche Fußball je erlebt hat – jedenfalls sollten wir sicherheitshalber schon jetzt getrost Abschied nehmen von dem alten, groben Irrtum, dass im Fußball nur die Torhüter und Linksaußen einen Sprung in der Schüssel haben.

Bayern gegen Dortmund – der wahre Fan wird bei diesem Zusammenprall derart durchgeschüttelt, dass er zuweilen nicht einmal mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Schon neulich in der Bundesliga, als es um nichts ging und sich beide Seiten nur warmliefen für den Ernstfall in Wembley, war dieser Ausnahmezustand der verirrten Gefühlswelt an dem Bettlaken zu erkennen, auf das ein paar BVB-Einfaltspinsel den Fluch gepinselt hatten: „Verpiss Dich, Götze!“

„Verpiss Dich, Reus!“

Wie gierig muss dieser Nimmersatt sein, um sich vom FC Größenwahn kaufen zu lassen, schäumten die Dortmunder Frustrierten und leerten sich ausgerechnet im Vorfeld des größten Thrillers der BVB-Vereinsgeschichte den Kropf – und dummerweise auch gleich noch den Kopf, denn bei klarem Verstand hätten sie ihren Gedanken konsequenter zu Ende gedacht und auch gleich noch auf ein zweites Spruchband gepinselt: „Verpiss Dich, Reus!“ Hatte nicht auch Marco Reus bei Borussia Mönchengladbach noch einen laufenden Vertrag, als er letzten Sommer dem Lockruf der Dortmunder erlag?

Aber lassen wir die Fans in Frieden, sie denken in solchen Momenten nur von der Tapete bis zur Wand, sie können nicht anders – und schon gar nicht, wenn Dortmund auf Bayern trifft. Das ist mehr als ein Spiel im Gras, das ist wie Real gegen Barcelona, Weihnachten gegen Ostern oder Glatze gegen Wuschelkopf, also eine Frage der Weltanschauung, das ist Wut und Weißglut, Hingabe und Hass, der Verstand schlägt Purzelbäume, hochkant und rückwärts – und wer diese Sache ohne bleibende Schäden überstehen will, schaut am besten gar nicht mehr hin, sondern blockt den Wahnsinn ab mit einem dicken Brett vor dem Kopf.

Dortmund gegen Bayern, das ist das höchste der Gefühle, und es gelten andere, tiefer gelegte Gesetze – kurz: es wird mit dem Bauch gedacht.

Man kann sie an seinen fünf Fingern abzählen, die paar kühlen Köpfe, die dieser Tage beim hysterischen Hochschaukeln des Duells noch alle Tassen im Schrank haben, und besonders erwähnenswert ist da Jupp Heynckes. „Ja, diese Emotionen. . .“, hat der Bayerntrainer kürzlich belustigt gestöhnt und nur aufgrund seiner Vornehmheit und Altersmilde die logische Folgefrage verschluckt: Erschrecken diese Gefühlskasper eigentlich vor sich selbst, wenn sie sich mit ihren Fratzen hinterher im Fernsehen sehen?

Gefühlen, Gedanken und Gesichtszüge entgleist

Das war bei dem bereits erwähnten Spiel Anfang Mai in Dortmund, als das Pulverfass der Emotionen in Form des turbulenten Duells Sammer gegen Klopp in die Luft flog und mit den Gefühlen und Gedanken auch gleich noch die Gesichtszüge entgleisten. Auge um Auge und Zahn um Zahn, hieß das Motto, und Kopf an Kopf standen sie sich gegenüber, der Dortmunder Trainer und der Münchner Sportchef, mit den Hörnern beharkt haben sie sich wie die Hornochsen in der freien Wildbahn. Sammer, der alte Feuerkopf, hat sich seit dem Verbot der Pyromanie in den Stadion zwar die roten Haare rasiert, um als Zündholz nicht mehr erkannt zu werden – aber als Schürhaken schiebt er weiter die Briketts ins Feuer.

Und Klopp? Auch der ist im richtigen Leben nicht vorbestraft, hat teilweise beste Manieren, wenn nicht gar Abitur und gilt privat als besonnen – aber an der Seitenlinie erinnert er an den Gruselklassiker „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, jene makabre Studie des doppelten Ichs, in der sich der ehrenwerte Doktor Jekyll zwanghaft in den ekelhaften Mister Hyde zu verwandeln pflegt. „Entgeistert“, liest man, „stand Henry Jekyll bisweilen vor Edward Hydes Taten.“

In London spielt diese Geschichte übrigens, und wir fürchten, dass auch Klopp in der Hitze von Wembley bisweilen wieder entgeistert vor sich selbst stehen wird, zumindest aber vor Sammer wie einst Mike Tyson vor Evander Holyfield – und händeringend wollen wir hoffen, dass wenigstens keiner dem anderen ein Ohr abbeißt und anschließend auf die Tribüne hinaufspuckt. Auszuschließen ist aber nichts, denn wie hat Olli Kahn neulich gesagt: „Schon früher war es gegen Dortmund bissig.“ Er muss jenen denkwürdigen Tag gemeint haben, an dem er wie eine gesengte Sau aus seinem Bayerntor rauschte und sich mit Puls 220 und 41 Grad Fußballfieber der Halsschlagader des damaligen BVB-Torjägers Heiko Herrlich näherte wie Dracula im Blutrausch.

Bayern gegen Dortmund, dieses Duell macht aus den besten Kerlen andere Menschen. Die Fans und Spieler lassen die Sau raus, und geblendet von der tief stehenden Abendsonne gehen Sammer und Klopp mit ihren Gefühlen hemmungslos Gassi, als ob sie ein Preispinkeln an der Pissrinne austragen – oder ein Rad ab haben.

Dabei dreht sich nur das Riesenrad der Emotionen.