Ostern in der heiligen Stadt In Jerusalem kämpfen viele Händler ums Überleben

Hashem Natshe (50) wartet in seinem Schmuckgeschäft auf Touristen. Foto: Mareike Enghusen

Normalerweise wäre jetzt die Jerusalemer Altstadt voller Juden, Muslimen und Christen. Doch kurz vor Ostern ist die Stimmung gedrückt, Touristen bleiben aus. Zehntausende Palästinenser haben ihren Job verloren.

In guten Zeiten sind die Osterfeiertage ein zweifaches Fest für Issa M. aus Bethlehem. Der Händler, dessen arabischer Name „Jesus“ bedeutet, feiert Ostern als Christ. Zugleich spült das Fest für gewöhnlich zahlreiche Touristen und Pilger in seinen kleinen Laden in der Altstadt von Jerusalem. Doch gute Zeiten sind ruhige Zeiten. Dieses Jahr tobt ein Krieg in Gaza, schrecken bedrückende Nachrichten von Zerstörung, Leid und Tod jene Besucher ab, die so wichtig sind für Händler wie Issa M.

 

Wenige Tage vor dem Osterfest ist die Stimmung in der Altstadt von Jerusalem gedrückt. Für gewöhnlich drängen sich zu dieser Zeit Tausende Touristen und Pilger aus aller Welt durch die engen Gassen. Hotels in der Altstadt sind ausgebucht, und die Händler der zahllosen Souvenirläden versuchen, die vorbeiziehenden Passanten in Gespräche zu verwickeln. An diesem windigen Nachmittag wenige Tage vor Ostern aber deutet nichts auf die bevorstehenden Feiertage hin.

Viele der kleinen Geschäfte und Cafés sind geschlossen

Nahe des Jaffa-Tors, durch das die meisten Touristen die Altstadt betreten, sind viele der kleinen Geschäfte und Cafés verschlossen. Wo sonst Silberschmuck glitzert, Shirts mit Jerusalem-Motiven hängen oder mit Kardamom gewürzter Kaffee seinen Duft verströmt, versperren nun schwere Eisentore den Blick. Die wenigen Menschen, die durch die Gassen laufen, sprechen das Hebräisch oder Arabisch der Einheimischen. Die Händler, die auf Plastikstühlen in ihren leeren Läden sitzen, starren schweigend an ihnen vorbei.

Die Frage, wie es denn dieses Jahr laufe mit den Geschäften, erscheint so überflüssig, dass Issa M. sich ein wenig darüber ärgert. „Das können Sie mit ihren eigenen Augen sehen“, erwidert er. Allein steht er in der Mitte seines Geschäftes, in dem Kreuze und Marienfiguren aus weich geschliffenem Holz vergeblich auf Käufer warten. Er ist 75 Jahre alt, schlank und weißhaarig; seinen Nachnamen will er nicht nennen.

Rund 140 000 Palästinenser haben über Nacht ihren Job verloren

Um von Bethlehem im Westjordanland nach Jerusalem zu kommen, muss er einen Checkpoint der israelischen Armee passieren. Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober jedoch gewährt Israel kaum noch Palästinensern Zugang – mit fatalen Folgen für die Wirtschaft im Westjordanland: Rund 140 000 Palästinenser, die bis zum 7. Oktober in Israel gearbeitet hatten, haben über Nacht ihre Jobs verloren.

Das Einreiseverbot trifft auch Händler wie Issa M. Nur für vier Tage in der Woche vor Ostern habe er eine Erlaubnis erhalten, nach Jerusalem zu kommen – das erste Mal seit dem 7. Oktober. Doch zu tun gebe es hier ohnehin nichts. „Im Norden herrscht Krieg, im Süden herrscht Krieg“, klagt er mit Verweis auf Israels Kämpfe gegen die Hamas in Gaza und die Hisbollah im Libanon. „Natürlich kommen da keine Touristen. Die wären ja verrückt!“

In dem Geschäft schräg gegenüber lehnt ein kräftiger Mann mit grau meliertem Haar im Türrahmen. Er stellt sich als Susu vor, 40 Jahre alt, gebürtiger Jerusalemer und Muslim. Auch er gibt nur seinen Vornamen preis. „In den letzten sechs Monaten war ich nur zwei Wochen hier“, sagt er, zuckt mit den Schultern und bringt das Gespräch auf Politik: Israel, glaubt er, werde es in ein paar Jahren nicht mehr geben. „Gaza wird diesen Krieg gewinnen – denk an meine Worte.“

Einige junge Männer in der schwarz-weißen Kleidung ultraorthodoxer Juden nähern sich plaudernd seinem Laden. Sofort wechselt Susu ins Hebräische: „Hallo, willkommen!“ Die Männer gehen weiter, ohne sich umzudrehen.

„Niemand hier will Probleme“

Ein paar Meter weiter steht Hashem Natshe, 50, in dem Schmuckgeschäft, das er von seinem Vater geerbt hat. „Normalerweise wäre die Altstadt jetzt voll von Christen, Muslimen und Juden“, sagt der gebürtige Jerusalemer. „Christen wegen Ostern, Muslime wegen Ramadan, Juden wegen Purim.“ Das jüdische Purimfest fand in diesem Jahr wenige Tage vor Ostern statt. Immerhin hätten sich die Spannungen zwischen Juden und Palästinensern inzwischen gelegt: „Vor fünf Monaten war es verrückt, beide Seiten hatten Angst voreinander. Inzwischen ist es ruhiger, niemand hier will Probleme.“

Dabei hatten vor dem Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan Mitte März viele Beobachter vor Konflikten in Jerusalem gewarnt. In vergangenen Jahren war es vor allem auf dem Areal der Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen jungen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften gekommen.

Vor drei Jahren hatte sich daraus gar ein elftägiger militärischer Konflikt entwickelt: In Reaktion auf die Unruhen feuerte die Hamas Raketen auf israelische Städte, Israels Armee nahm daraufhin Ziele der Hamas im Gazastreifen unter Beschuss. Dieses Jahr hatten manche Analysten gewarnt, dass erneute Spannungen in Jerusalem zum Ramadan den Gaza-Krieg noch anheizen oder womöglich weitere regionale Akteure in den Konflikt hineinziehen könnten. Doch diese Befürchtungen sind bislang ausgeblieben: 120 000 Muslime beteten am Freitag vor Ostern friedlich auf dem Al-Aqsa-Areal.

Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, Vorsitzender der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke, hatte ursprünglich den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee für Palästinenser stark einschränken wollen – entgegen der Empfehlungen der Sicherheitsdienste, die vor Protesten frustrierter Gäubiger warnten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entschied nach einigem Zögern jedoch anders.

In der Altstadt von Jerusalem stehen in kleinen Gruppen Frauen und Männer der israelischen Grenzpolizei, jener Einheit, die vorwiegend zum Grenzschutz, aber auch in Jerusalem und im Westjordanland zum Einsatz kommt. Dennoch ist von Spannungen nichts zu spüren. Im muslimischen Viertel herrscht reges Treiben, hier sind die meisten Geschäfte geöffnet. Ramadan-Laternen oder Lichterketten sucht man indes vergeblich: Wegen des Gaza-Krieges gilt festliche Dekoration in diesem Jahr als unpassend.

Auf Osterschmuck wird wegen des Krieges auf öffentlichen Plätzen verzichtet

Bereits zu Weihnachten hatten palästinensische Christen in Jerusalem und Bethlehem aus demselben Grund auf Weihnachtsschmuck auf öffentlichen Plätzen verzichtet, nur die religiösen Feierlichkeiten fanden wie gewohnt statt. Das Gleiche gilt für das Osterfest: Am Palmsonntag führte Pierbattista Kardinal Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem, die traditionelle Prozession vom Ölberg zur Altstadt von Jerusalem an. In einer Zeit, in der sich so wenige Christen zu Ostern in Jerusalem einfinden könnten, sagte der Patriarch in seiner Ansprache, sei es umso wichtiger, „dass wir voll Stärke und Glauben rufen, dass wir einen Bezugspunkt haben: Jesus Christus“.

Einige wenige Touristen sind trotz allem angereist. Zu ihnen gehört die 40-jährige Melanie K. aus Freiburg, die an diesem Nachmittag mit ihrem Mann und den zwei Kindern, neun und elf, im Café des Österreichischen Hospizes in der Jerusalemer Altstadt sitzt. Das Hospiz, eine katholische Pilgerherberge an der Via Dolorosa, ist eine bekannte Institution in der Altstadt: Sein Café mit Apfelstrudel und Sachertorte auf der Speisekarte zieht in ruhigeren Zeiten viele deutschsprachige Reisende an. An diesem Tag jedoch sind die meisten Tische unbesetzt.

Vor vielen Jahren hat die Freiburgerin in Tel Aiv gewohnt

„Wir kommen schon seit Jahren hierher, weil wir das Land total mögen“, erklärt Melanie K., „das liegt an unserem Glauben und auch daran, dass wir 2006 ein paar Monate in Tel Aviv gewohnt haben. Seitdem haben wir Freunde hier, und die haben uns versichert, dass man im Moment als Touristen gut herkommen kann.“

Damit ist Familie K. eine Ausnahme. Hotelbetreiber und Reiseagenturen in Jerusalem berichten von massenhaften Absagen seit dem 7. Oktober. Und solange hundert Kilometer südwestlich von Jerusalem Krieg herrscht, dürfte sich daran wenig ändern. Ich hoffe, es wird Frieden geben, und alle Menschen werden ihr Leben genießen können“, sagt Schmuckhändler Natshe. „Insha’allah“ – so Gott will.

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