Noch einmal knallen bei Weber Boxauto die Autoscooter aneinander, Lichter flackern rundherum, junge Menschen genießen ausgelassen den letzten Abend des damaligen Frühlingsfestes. Es ist der 3. Mai 1969 auf dem Cannstatter Wasen. Auch Christine, 14 Jahre alt, hellblau-karierter Minirock, weißes Oberteil, ist mit einer Freundin dort. Sie stehen am Rand der Fahrfläche. Bald fallen ihnen zwei Jungs auf.
Richard hat buschiges Haar, trägt ein blaues Hemd und eine weiße Jeansjacke. Auch er hat einen Freund dabei. Die beiden Mädchen und die beiden Jungs stehen sich gegenüber, jeweils auf der anderen Seite des Boxauto-Rings. Ihre Blicke treffen sich, man guckt sich an, lächelt, schaut wieder weg, als ob alles nur purer Zufall gewesen wäre. Dann wieder und wieder.
Zwei Stunden Blickkontakt, dann fährt Richard vor
Eineinhalb Stunden geht das so. Aber jeder bleibt auf seiner Seite. Christines Freundin reicht es dann, Mädchen ansprechen ist damals natürlich ganz klar Sache der Jungs. Und weil das nicht passiert, zieht sie weiter und verschwindet auf dem Wasen-Gelände. Richards Kumpel ergreift die Chance und geht Christines Freundin hinterher. Jetzt sind Richard und Christine sozusagen für sich, nur ein paar Handvoll Autoscooter zwischen ihnen umherfahrend, sie müssen nur noch zueinanderfinden.
Die Blicke, das Hin- und Her geht noch eine Stunde weiter. Christine zweifelt schon, ob es richtig war, hierzubleiben. Vor allem, als sie Richard für ein paar Momente aus dem Auge verliert. Aber plötzlich fährt Richard im Boxauto bei ihr vor, die Anlage spielt Mendocino, und Richard sagt: „Steig ein!“ Große Worte sind damals nicht so sein Ding.
Er fährt Boxauto „wie ein junger Gott“
Nach jeder Fahrt zückt Richard noch einen Chip hervor, mindestens eine halbe Stunde geht das so, er hatte sich die ganze Tasche damit gefüllt. „Er fuhr Boxauto wie ein junger Gott“, erinnert sich Christine heute. Aber die Uhr tickt. Als ihre letzte Runde gedreht ist, ist es 21.40 Uhr, und in 20 Minuten muss Christine zuhause bei ihrer Oma, bei der sie aufwächst, am Hallschlag in Cannstatt sein.
Auf dem Weg dahin zieht Richard seine Jeansjacke aus und hängt sie Christine um. Als sie sich an ihrer Haustüre verabschieden, verabreden sie sich für den nächsten Tag, Tretbootfahren am Max-Eyth-See. Sie haben sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht berührt, kaum ein paar Sätze gewechselt, der erste Kuss fällt erst vier Wochen später auf dem Sofa der Oma, als diese mal einen Moment nicht aufpasst. „Er war der erste Junge, für den ich mich interessiert habe“, erzählt Christine Rabe heute. „Wir haben uns gesehen und sind zusammengeblieben.“
Den 50. Hochzeitstag wollen sie auf dem Wasen feiern
Genau drei Jahre nach diesem ersten Abend auf dem Wasen verloben sich Christine und Richard. Noch mal zwei Jahre später, am 3. Mai 1974, heiraten sie. „Jedes Jahr an unserem Hochzeitstag haben wir die alte Frau Weber in ihrem kleinen Kassenhäuschen beim Boxauto besucht und brachten ihr einen kleinen Blumenstrauß“, sagt Christine Rabe. „Leider ist sie in der Zwischenzeit verstorben.“ Christine und Richard, mittlerweile 69 und 72 Jahre alt, haben „drei wundervolle Kinder und zwei wundervolle Enkeltöchter.“ Und nächstes Jahr wollen sie auf dem Wasen ihren 50. Hochzeitstag feiern.
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