Einst sollten die Pädagogischen Hochschulen dicht gemacht werden. In Baden-Württemberg haben aber sechs Einrichtungen dem Trend getrotzt – und die feiern heute 50. Jubiläum.
Stuttgart - Die zentralen Fragen sind über 50 Jahre die gleichen geblieben. Das zeigt sich im Jubiläumsjahr der Pädagogischen Hochschulen des Landes. Mit acht Hochschulen begann 1962 in Baden-Württemberg die neue Form der Lehrerausbildung. In einer „Schicksalsstunde der Volksschule“, wie der Tübinger Philosoph und Pädagoge Eduard Spranger damals, am 29. Mai 1962, bei der Feier in Ludwigsburg sagte. Jetzt entscheide sich, ob die Volksschule nur Zubringer für andere Schulen sei, oder ob sie es vermöge, etwas Selbstständiges, Eigenes zu werden, wurde Spranger zitiert. Die Volksschule vermochten die Pädagogischen Hochschulen nicht zu erhalten. Das 50-jährige Jubiläum fällt aber auch in eine „Schicksalsstunde“, dieses Mal stellt sich die Zukunftsfrage für die neue Gemeinschaftsschule, deren Pioniere nun an den Start gehen und die neue Anforderungen an die Lehrerbildung stellt.
Den Widrigkeiten getrotzt
Sich selbst konnten die Pädagogischen Hochschulen vielen Widrigkeiten zum Trotz erhalten. Esslingen und Lörrach wurden zwar 1984 geschlossen, Reutlingen traf es 1987. In allen anderen Bundesländern wurden die alten Pädagogischen Institute und Akademien früher als im Südwesten in Hochschulen umgewandelt.
Sie alle sind längst in Erziehungswissenschaftlichen Instituten der Universitäten aufgegangen, Baden-Württemberg hinkte bei der Akademisierung hinterher. Doch nur hierzulande haben sich sechs Pädagogische Hochschulen behauptet. Und das obwohl in den 90er Jahren eine vom Ministerrat eingesetzte Strukturkommission zu ihrer Abschaffung riet. Aus welchen Gründen die Landesregierung den Rat der von ihr selbst einberufenen Experten damals ignorierte, bleibt bis heute im Dunkeln.
Ruinöser Anspruch
Die Pioniere wurden von Anfang skeptisch beäugt. Vor 50 Jahren sah der Tübinger Universitätsprofessor Andreas Flitner „die Lehrerbildung am Kreuzweg“ und warnte, die Ausbildung der Volksschullehrer in Baden-Württemberg könnte nicht besser, sondern schlechter werden, wenn das Studium überfrachtet werde. „Der Anspruch auf hochschulmäßige Arbeit „ könnte zum Ruin der bisher arbeitsfähigen Lehrerbildung führen“.
Die Konkurrenz und Abgrenzung zu den Universitäten beschäftigte die Pädagogischen Hochschulen über die Jahrzehnte. Das Studium dauerte anfangs nur zwei Jahre, wurde aber schnell auf drei verlängert. Bis jedoch die Studienzeit der Grundschullehrer auf acht Semester angehoben wurde, sollte es bis zum Jahr 2011 dauern.
Boomende 70er Jahre
In der Gunst der Studierenden erlebten die Pädagogischen Hochschulen Höhen und Tiefen. Mit 4400 Studenten begann es. Den absoluten Höchststand verbuchten die Hochschulen im Wintersemester 1974/75. Als Lehrer mit Handkuss eingestellt wurden, war fast jeder fünfte Student im Land an einer PH eingeschrieben ( 22 750 Studenten, 17,9 Prozent).
Als die Hochschulen ihren 25. Geburtstag feierten, warnten die Berichterstatter, der Zenit sei längst überschritten, die Hochschulen stünden vor einer ungewissen Zukunft. Die Studenten klagten 1987 „Unser Los, arbeitslos“, die Pädagogischen Hochschulen seien wegen der „rigorosen Kahlschlagpolitik im Bildungsbereich“ zur „zweitklassigen Hochschule“ geworden. Die wissenschaftliche Ausbildung Lehrer aller Schularten stand nicht mehr zur Debatte. Im Wintersemester 1986/87 schrieben sich nur noch 610 Anfänger neu ein. Schon damals versuchte jede PH ihre Felder auszudehnen, beklagt wurde jedoch, dass jede ihren eigenen Weg aus der Sackgasse suchte, und kaum akzeptierte Studiengänge aus dem Boden stampfte.
Vom Lehrerbedarf abkoppeln
Auch heute wollen die Hochschulen die Abhängigkeit der Studienplätze vom Lehrerbedarf vermeiden, betont Martin Fix, der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz. Aus drei Lehramtsstudiengängen (Sonder-, Grund- und Haupt- sowie Realschule) seien inzwischen 72 Studiengänge geworden. Seit 2007 gibt es Bachelor- und Masterprogramme. Das Fächerspektrum umfasst die frühkindliche Bildung, Berufsschulbildung, Kultur- und Medienbildung, Gesundheitsbildung, Erwachsenenbildung und zunehmend auch die Weiterbildung.
„Die baden-württembergischen PHn haben einen bemerkenswerten Emanzipationsprozess hingelegt“, sagt Fix in der Rückschau. Sie haben Promotions- und Habilitationsrecht, sie verstehen sich inzwischen als „bildungswissenschaftliche Universitäten“ und so wollen sie auch heißen. Dieser Vorschlag der PH-Rektoren stieß bisher jedoch auf taube Ohren. Sie wollen sich aber Gehör verschaffen.
Vorbild für andere Länder
Geplant ist die Beteiligung an der gymnasialen Lehrerbildung, die in Baden-Württemberg bisher auf die Universitäten beschränkt ist. „Die PHn können in der Auseinandersetzung mit Lehr- und Lernprozessen Kompetenzen anbieten, während die klassischen Universitäten sich auf die Fachwissenschaften konzentrieren“, betont Martin Fix selbstbewusst. Eine Verschränkung der Kompetenzen von Universität, PH und Seminaren „könnte ein Vorbild für andere Länder sein.“
Standorte
Die sechs Pädagogischen Hochschulen Baden-Württembergs liegen in Ludwigsburg, Schwäbisch Gmünd, Weingarten, Freiburg, Karlsruhe und Heidelberg. Die größte ist Ludwigsburg mit 5400, die kleinste Schwäbisch Gmünd mit 2600 Studenten (Stand: Wintersemester 2011/12).
Im Wintersemester 2011/12 sind 22 500 Studenten an den Pädagogischen Hochschulen eingeschrieben. Das sind 7,4 Prozent aller Studierenden. Den Tiefpunkt markierte das Wintersemester 1987/88, als nur 7378 junge Menschen eine PH besuchten. Das war ein Anteil von 3,7 Prozent. Die 20 000er-Marke wurde erst wieder im Jahr 2003 überschritten.
Jubiläumsfest
Das Jubiläum begehen geladene Gäste am Freitag im Schlosstheater in Ludwigsburg. Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird ebenso erwartet wie die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (beide Grüne).