Im Jahr 2018 stürzte eine Boeing 737 Max in Indonesien ab, 2019 eine in Äthiopien. Vor drei Wochen verliert eine 737 Max im Flug eine Tür. Warum bekommt der weltbekannte Hersteller die Probleme nicht in den Griff?

Es ist ein Albtraum für jeden Fluggast – und ein Erlebnis, das die Passagiere von Alaska-Airlines-Flug AS1282 sicher nicht vergessen werden: Minuten nach dem Start der Boeing 737 Max 9 am 5. Januar in Portland (Oregon), mitten im Steigflug, knallt es plötzlich in der Kabine – und wo gerade noch die Wand war, klafft in Reihe 26 links ein Loch.

 

Und doch: Die 171 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder von Flug AS1282 haben an diesem Tag Glück im Unglück. Die Piloten stoppen den Steigflug sofort und bringen die 737 Max 9 zurück nach Portland. Dort setzt der Boeing-Jet knapp eine Stunde nach dem Start wieder sicher auf.

Dass der Vorfall im Steigflug, in knapp 5000 Meter Höhe passierte, hat womöglich Leben gerettet. Zum einen, weil der Druckabfall in Reiseflughöhe wegen des größeren Luftdruckunterschieds wohl deutlich explosiver ausgefallen wäre – mit schwer absehbaren Folgen für das Flugzeug selbst. Zum anderen, weil so kurz nach dem Start noch alle Passagiere angeschnallt waren.

Auch die Tatsache, dass die Sitze 26A und 26B direkt am Loch nicht besetzt waren, werten Experten als Glücksfall. Dort war der Sog so stark, dass er sogar die Abdeckung eines der Sitze ins Freie zog. Die fast fabrikneue 737 Max 9, erst im Oktober 2023 an Alaska Airlines ausgeliefert, steht derweil heute noch in Portland – wo sie von den NTSB-Ermittlern detailliert in Augenschein genommen wird. Das Loch trägt der Rumpf der 737 Max 9 an dieser Position schon von Haus aus. Es ist die Aussparung für einen Notausgang, der dort standardmäßig eingebaut wird. Allerdings nur für Airlines, die ihre 737 Max 9 mit der maximal zulässigen Anzahl an Sitzen ausrüsten möchten und deshalb diesen Ausgang brauchen. Für Kunden, die nicht ganz so viele Plätze in das Flugzeug packen möchten, bietet Boeing eine Verblendung der Stelle an. Statt des Notausgangs wird die Öffnung mit einem Paneel verschlossen. Von innen sieht man davon nichts.

Rätsel um den Türstopfen

Der Türstopfen ist von der US-Luftfahrtbehörde FAA zugelassen – und derzeit in 171 Max 9 verbaut. Gesichert wird er mit insgesamt vier Bolzen. Doch die NTSB konnte zwar die aus dem Rumpf gesprengte Türblende im Vorgarten eines Hauses sicherstellen, von den vier Sicherungsbolzen dagegen fehlt bislang jede Spur. Die NTSB-Ermittler konzentrieren sich deshalb auf die Frage, ob die Bolzen in der verunfallten Max 9 fehlten beziehungsweise ob sie korrekt eingesetzt und gesichert waren oder nicht. Sicher geklärt ist das noch nicht – allerdings fanden sowohl Alaska Airlines als auch Mitbewerberin United Airlines bei jüngsten Inspektionen ihrer Max-9-Flotte tatsächlich lose Bolzen an Türabdeckungen. Die FAA sprach daraufhin ein Flugverbot für alle 737 Max 9 aus, bei denen die Blende verbaut ist.

Das wiederum wirft – wieder einmal – ein schlechtes Licht auf das Qualitätsmanagement bei Hersteller Boeing und dessen Zulieferer Spirit Aerosystems, der die Rümpfe der Boeing 737 baut. Nach den Abstürzen zweier 737 Max 8 in den Jahren 2018 und 2019 wegen einer fehlerhaften Software, aus denen ein fast zwei Jahre andauerndes Flugverbot aller 737 Max resultierte, hatte das Management des Airbus-Konkurrenten eigentlich gelobt, in Zukunft besser auf die Sicherheitskultur im Haus zu achten.

Immer wieder Zwischenfälle

Allerdings hatte die 737 Max auch danach immer wieder mit Qualitätsmängeln zu kämpfen. So setzte im April 2021 ein Problem mit der Elektrik mehr als 100 737 Max vorübergehend außer Gefecht. Zwei Jahre später, im April 2023, meldete Spirit Aerosystems einen Produktionsfehler, der die Verbindungspunkte zwischen Rumpf und Seitenleitwerk betraf. Im August 2023 entdeckte wiederum Boeing fehlerhafte Bohrungen an von Spirit gelieferten hinteren Druckschotts der 737 Max. Und erst Ende Dezember 2023 forderte Boeing seine Kunden zur Prüfung ihrer 737 Max auf – wegen lockerer Schrauben in der Rudersteuerung. Wie aber kann es sein, dass der einst weltgrößte Hersteller von Passagierflugzeugen seit Jahren mit Verarbeitungsfehlern an seinen Jets Schlagzeilen liefert? Die Gründe dafür sind wohl hausintern zu suchen, denn die Qualitätssicherung wird von Boeing nach wie vor selbst geregelt – und die Wurzeln liegen über 25 Jahre zurück. Nach der Fusion mit McDonnell Douglas 1997 übernahmen beim traditionell von Ingenieuren geleiteten Boeing-Konzern Stück für Stück fachfremde Manager aus der Wirtschaft das Ruder, denen niedrige Kosten am Herzen lagen.

Die FAA drohte Boeing nach dem Alaska-Airlines-Drama offen damit, dem Hersteller für diesen Zweck eine externe Fremdfirma aufs Auge zu drücken. Der Vorfall hätte nie passieren dürfen und dürfe sich nie wiederholen, unterstrich die Behörde. Zudem erklärte sie, künftig alle Max-Zwischenfälle zentral zu erfassen – und kündigte tiefgreifende Überprüfungen der Boeing-Lieferkette an. Der jüngste Vorfall zieht weitere Kreise. Die „Seattle Times“ zitierte einen anonymen Boeing-Insider, dem zufolge das von Spirit vormontierte Türpaneel im Boeing-Werk Renton aus- und dann fehlerhaft wieder eingebaut wurde. Einwandfrei nachprüfen lassen sich diese Hinweise vorerst nicht.

Info: Der Autor ist Redakteur der Zeitschrift „Flugrevue“, die bei der Stuttgarter Motorpresse erscheint: www.flugrevue.de