Der Paragraf 218 zum Schwangerschaftsabbruch ist einer der umstrittensten im deutschen Strafgesetz. Zweimal, in den Jahren 1975 und 1993, scheiterte dessen Reform vor dem Bundesverfassungsgericht, bis mit der Beratungslösung ein Kompromiss gefunden wurde. Jetzt kommt das Thema erneut auf und droht alte Gräben aufzureißen. Die Bundesregierung hat eine Kommission damit beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts neu geregelt werden können. Mitte April werden sie vorgestellt. Derzeit ist ein Abbruch grundsätzlich strafbar. Lässt sich die Frau jedoch vor der 12. Woche beraten, ist ihre Gesundheit gefährdet oder beruht die Schwangerschaft auf einer Straftat, dann erfolgt er straffrei.
Schlechte Versorgungslage durch Kriminalisierung
Die Beratungsregel ist ein Kompromiss, der eine aufgeheizte Debatte Jahrzehnte befriedet hat. In einer polarisierten Gesellschaft braucht es gute Gründe, das Thema erneut anzugehen. Die gibt es.
Mit einer ungewollten Schwangerschaft kommen Ängste und Sorgen. Um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, bleibt jedoch nur begrenzt Zeit. Denn selbst wenn die Entscheidung schnell getroffen ist, kann die schlechte Versorgungslage zum Problem werden. Nach einer Recherche von Pro Familia führen beispielsweise in Baden-Württemberg nur 14 Kliniken und Arztpraxen Schwangerschaftsabbrüche gemäß der Beratungsregel durch. Die Rechtswidrigkeit setzt einen Mechanismus in Gang, an dessen Ende die Notsituation der Frau steht: Ärzte fühlen sich kriminalisiert und entscheiden sich dagegen, die umstrittenen Eingriffe durchzuführen.
Gerade im ländlichen Raum müssen Schwangere deshalb teilweise 100 Kilometer zum nächsten Arzt fahren. In den kommenden Jahren dürfte sich die Lage auch kaum verbessern. Viele Ärzte, die Abbrüche vornehmen, gehen in Rente, und im Medizinstudium wird das Thema bislang kaum behandelt.
84 Prozent der Bevölkerung spricht sich für Legalisierung aus
Das Vorhaben, Abbrüche in den ersten zwölf Wochen straffrei durchführen zu lassen, wurde 1975 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestoppt. Auch deshalb bremst die FDP jetzt. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau sei verfassungsrechtlich mit dem Schutz des ungeborenen Lebens in Abwägung zu bringen. Doch Zeiten ändern sich, die Gesellschaft ändert sich. 84 Prozent der Bevölkerung sprechen sich dafür aus, dass Schwangerschaftsabbrüche legal sind. Wie das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden würde, weiß niemand.
In der CDU weist man zu Recht auf den Schutz des ungeborenen Kindes hin. Ein wichtiger Einwand, der nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es bei einer anstehenden Neuregelung auch um den Schutz des Kindes ginge. Untersuchungen zeigen: Ein Abtreibungsverbot führt nicht zu weniger Abbrüchen. Die beste Verhinderung von ungewollten Schwangerschaften sind Aufklärung und die Bereitstellung von Verhütungsmitteln. Die Beratung ist sinnvoll, nur ob diese verpflichtend sein sollte, ist fraglich. Denn am Ende trifft guter Rat nur auf offene Ohren, wenn der auch gewünscht ist.
Das Ziel der Debatte darf nicht der rechtsfreie Raum sein, sondern eine vernünftige Neuregelung. Schwangere sollten bis zur 12. Woche rechtmäßig und kostenfrei abtreiben können – mit einem Recht auf Beratung statt einer Pflicht. Klar ist: Es gibt keine Patentlösung, es bleibt ein Für und Wider, ein Abwägen verschiedener Argumente. Eine Aufgabe, die die Kommission übernommen hat. Mitte April gibt es die erneute Chance, das Thema anzugehen. Statt vorschnell in ideologische Muster zu verfallen, liegt es an allen, erst einmal zuzuhören.